Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
du noch zwanzig Sekunden weiter, und dann noch zehn, hätten die Unerbittlichen gesagt.
Wieder und wieder.
Und dazwischen die Fragen.
Wo? Wann? Wer noch?
Die damaligen Irrtümer. Der spätere Irrtum. Als er glaubte, man würde ihm helfen, als er hoffte, dass derjenige, der immer für ihn da gewesen war, auch diesmal loyal und zuverlässig sein würde.
Die Enttäuschung. Die schwere Entscheidung.
Patricia Wellton. Er erinnerte sich daran, wie er auf sie wartete. Wie wütend sie gewesen war, als sie endlich auftauchte. Wie sie ihn angeschrien hatte, dass sie ungenügend vorbereitet worden sei, und wie zum Teufel er erwarten könne, dass sie ihren Job erledigte, wenn die Informationen über das Ziel nicht stimmten. Er hatte nicht begriffen, wovon sie überhaupt redete. Sie hatte es ihm erklärt. So weit erinnerte er sich noch. Aber dann war die Situation eskaliert. Er hatte sie geschlagen. Schnell und brutal. Sie war völlig überrumpelt gewesen, und er hatte diese Form der Attacke so gut trainiert, dass sie zu Boden gegangen war. Bewusstlos. Dann war er zu ihrem Toyota gegangen, hatte ihn an den Rand des Grabens gefahren, sie auf den Fahrersitz gesetzt und das Auto angeschoben. War nach unten gestiegen, hatte den Tank geleert und den Wagen in Brand gesteckt.
Ein bedauerlicher Unfall. Bis jetzt.
Fiel es ihm deshalb so schwer, sich zu konzentrieren? Weil sich eine leise Nervosität mit den Erinnerungen und der verdrängten Trauer mischte. Weil aus dem Unfall ein Mord geworden war. Er hatte Patricia Wellton umgebracht, und ihre Auftraggeber waren nicht gerade bekannt für ihre Größe in Sachen Vergessen und Verzeihen. Aber noch war nichts endgültig bewiesen. Noch waren es nur die Spekulationen einer Boulevardzeitung. Aber man beobachtete ihn, das wusste er. Eine offizielle Bestätigung der Vermutungen, und man würde ihn jagen, dessen war er sich sicher. Vielleicht sollte er sich besser gleich darauf einstellen. Es gab die, die ihn beschützen konnten. Er hatte Zugang zu dem Besten, was man haben konnte, wenn man mächtige Frauen und Männer dazu bringen wollte, einem zu helfen.
Wissen.
Er stand von der Bank auf. Der Hund sprang sofort erwartungsvoll auf. Aber der Spaziergang war zu Ende. Charles glaubte zwar, dass die Drohung, die er gegen Alexander Söderling ausgesprochen hatte, Wirkung zeigen würde, aber er musste sicher sein können. Für ihn war es jetzt an der Zeit zu handeln, die eigenen Angelegenheiten in Ordnung zu bringen. In diesen Monaten vor bald zehn Jahren hatte er viel zu viel geopfert. Wenn sein Handeln von damals jetzt Konsequenzen hatte, würde er auf jeden Fall dafür sorgen, dass er nicht der Einzige war, den es erwischte.
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D ie SK071 landete um 20.35 Uhr, zehn Minuten zu spät. Nach einer weiteren Viertelstunde standen Torkel, Ursula und Billy am Gepäckband und warteten. Sie schwiegen, schon auf dem Flug von Östersund nach Stockholm hatten sie nicht viel miteinander geredet. Auch wenn es keiner aussprach, waren doch alle enttäuscht darüber, wie wenig sie in den Tagen auf der Fjäll-Station erreicht hatten. Sie hatten die beiden Holländer identifiziert und eine Verbindung zwischen dem Tod von Patricia Wellton alias Liz McGordon und den Opfern im Fjäll entdeckt, aber das war auch schon alles. Noch immer hatten sie keine Ahnung, wer die Familie aus dem Grab war, und auch Patricia Welltons beziehungsweise Liz McGordons wahre Identität kannten sie nicht.
Ihre letzte Hoffnung war die Kamera, die Ursula im Gepäck der Holländer gefunden hatte, aber bisher waren sie auch damit nicht weitergekommen. Billy hatte leider schnell festgestellt, dass er für das alte Modell kein passendes Kabel oder Ladegerät besaß. Als er das Fach der Speicherkarte öffnete, kam der nächste Rückschlag. Obwohl die Kamera in Plastik eingewickelt gewesen war, waren Luft und Feuchtigkeit eingedrungen. Das Metall an der Speicherkarte war oxidiert und hatte die Karte am Kameragehäuse festgeklebt. Ohne das passende Werkzeug hatte Billy es nicht gewagt, sie herauszulösen, weshalb die Kamera nun in genau demselben Zustand, in dem Ursula sie gefunden hatte, in seinem Koffer lag.
«Hallo! Willkommen zu Hause!»
Billy drehte sich um und erblickte My, die auf Zehenspitzen stand, um ihn zu küssen. Sie legte ihre Hände auf seine Wangen, presste ihren Körper an den seinen und schien in dieser Position die Zeit anhalten zu wollen. Nach einer gefühlten Ewigkeit unterbrach Billy den
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