Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
stehen.
Mehran nickte stumm.
«Ich kannte ihn kaum. Er war der Freund eines Freundes.»
«Said war nicht dein Freund. Ich weiß, dass du seinem Cousin Geld geliehen hast. Rafi.»
Joseph zuckte mit den Schultern. «Ich helfe vielen, weißt du. Sehr vielen.» Er lächelte Mehran an. «So bin ich eben.»
«Mein Vater ist verschollen. Ich versuche herauszufinden, was damals passiert ist.»
«Da fragst du den Falschen.»
Mehran sah Joseph an. Sein Blick war tief wie ein Grab. Es lag keine Hoffnung darin, keine Zukunft. Mehran wünschte sich wirklich, dass er jetzt die Pistole in der Hand hielte. Aber er konnte sie nicht hervorholen, nicht hier. Sie waren auf einem öffentlichen Platz. Er trat einen Schritt zurück, es war ein Impuls, gegen den er nichts unternehmen konnte.
«Ach wirklich?», sagte er und versuchte, weiter mit fester Stimme zu sprechen. «Ich glaube, du weißt, wie er verschwand.»
«Keine Ahnung, wie du zu dieser Behauptung kommst.» Joseph versuchte, sanfter zu klingen. «Es muss ein Missverständnis sein.»
«Das glaube ich nicht.»
«Ich bin mir ganz sicher. Wollen wir nicht irgendwo hinfahren und in Ruhe darüber reden?»
«Wir können hier darüber reden.»
Joseph lachte auf. «Nein, du kommst mit, oder wir vergessen die Sache.» Er drehte sich um und ging zu seinem Auto. «Eine weitere Chance bekommst du nicht», fügte er hinzu.
Mehran wusste nicht, was er tun sollte. Weiter als bis zu diesem Punkt hatte er nicht geplant. Joseph zu treffen. Jetzt begriff er, dass er etwas unternehmen musste. Den überlegenen Mann in irgendeiner Weise aus der Fassung bringen musste. Ihn überraschen. Vielleicht sollte er die Pistole herausziehen und sie ihm gegen die Stirn halten.
Aber das konnte er nicht tun. Nicht hier, wo Menschen auftauchen konnten. Er musste mit ihm allein sein, aber er wollte auf keinen Fall mit in dieses Auto steigen. Das wäre zu gefährlich.
Joseph war bei dem BMW angekommen und drehte sich zu ihm um. «Kommst du?», fragte er gereizt.
Vielleicht konnte er genauso gut aufgeben, dachte Mehran. Einsehen, dass er nicht weiterkam als bis hierher. Er hatte sich nicht blamiert. Hatte nicht den Schwanz eingezogen, also konnte er erhobenen Hauptes von dort weggehen. Und dennoch wäre es nicht vorbei. Jetzt wusste er, dass Joseph existierte. Das nächste Treffen würde er besser planen.
Aber das war nicht das, was er sich selbst geschworen hatte.
Er hatte sich geschworen, die Wahrheit herauszufinden. Shibeka zuliebe.
Er steckte die Hand in die Tasche. Das Metall war wieder warm. Es war bereit, und er war es auch. Er ging auf Joseph zu. Umfasste den Kolben.
«Warte!», rief er.
Er sah sich um. Der Parkplatz war noch immer leer. Es könnte gehen. Es musste gehen. Wenn es ihm gelang, dem Mann die Pistole an die Schläfe zu drücken und ihn ins Auto zu zwingen, ehe jemand kam, könnte es funktionieren. Das Metall in der Hand verlieh ihm Kraft.
Mehran wurde schneller, versuchte aber gleichzeitig, so entspannt wie möglich auszusehen. Als hätte er es sich anders überlegt, aber noch keine endgültige Entscheidung getroffen. Er wollte nicht, dass man seinem Körper die Bedrohung, die von ihm ausging, ansah. Die Waffe sollte unauffällig in seiner Tasche versteckt bleiben.
Joseph ging um das Auto herum, um ihm die Beifahrertür zu öffnen. Mehran umklammerte die Pistole fester und bereitete sich darauf vor, sie zu ziehen. Er lächelte in sich hinein. Der Mann würde sein blaues Wunder erleben.
Als er nur noch wenige Meter vom Auto entfernt war, hörte er sie. Zwei junge Frauen, die von der Bushaltestelle auf ihn zukamen. Sie waren Mitte zwanzig und lachten laut, während sie zum Bahnhofsgebäude gingen. Instinktiv ließ Mehran den Kolben los und blieb stehen, damit sie vorbeigingen. Aber wenn er sich zu viel Zeit ließ, würde er sich verraten. Joseph würde sich wundern, warum er nicht zum Auto kommen konnte, solange die Mädchen in Sichtweite waren. Er war gezwungen, weiter auf Joseph zuzugehen, der sich ihm nun mit einem Lächeln auf den Lippen zuwandte.
«Du kommst hierher und klagst mich an», sagte er sanft und schlug Mehran mit einem einzigen, gezielten Schlag nieder. Mehran sackte hinter dem Auto zusammen und fiel in den Kies. Joseph sah den Mädchen nach, während er dem Jungen brutal gegen den Kopf trat. Zweimal hintereinander. Nach dem zweiten Tritt verstummte Mehrans leises Stöhnen. Die Mädchen schienen nichts bemerkt zu haben, sondern plauderten weiter, als wäre
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