Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
Polizisten waren hier. Diesmal nehmen sie die Sache ernst.»
«Mama, ich kann nicht. Ich habe Joseph gefunden. Ich werde ihn gleich treffen.»
Er hörte, wie sie erschrocken den Atem anhielt.
«Was? Wovon redest du da?»
«Ich habe ihn gefunden. Und ich werde die Wahrheit herausfinden, Mama. Ich muss das hier tun.»
«Komm nach Hause, Mehran», bat sie. «Bitte komm nach Hause.»
«Später. Wenn ich es weiß. Wenn ich weiß, was passiert ist. Ich verspreche es.»
«Mehran …!» Jetzt schrie sie in den Hörer, und er hielt das Handy von seinem Ohr weg. Dann hörte er sie weiterflehen, ehe er das Gespräch wegdrückte.
Es war falsch, das wusste er. Man musste auf seine Mutter hören. Aber er hatte keine Wahl. Unabhängig davon, was die Polizei wusste oder nicht.
Neun Jahre lang hatte Shibeka darauf gewartet, dass sie ihr zuhörten.
Neun Jahre lang hatte Mehran auf Joseph gewartet.
Heute würden ihrer beider Wünsche in Erfüllung gehen.
Eyer verstand nicht, warum seine Mutter so schrie. Er umarmte sie und versuchte, sie zu trösten. Doch sie bemerkte es kaum, noch immer stand sie mit dem Hörer in der Hand da. Rief wieder und wieder dieselbe Nummer an. Aber Mehran schien sich nicht mehr zu melden. Nach mehreren Versuchen sank sie zu Boden. Eyer drückte sie ganz fest an sich. Das Einzige, was er begriff, war, dass er sie nicht loslassen durfte. Niemals.
Am Ende schien sie sich ausreichend beruhigt zu haben, um ihn anzusehen. Ihr standen die Tränen in den Augen. Sie war jedoch nicht auf dieselbe Art und Weise traurig wie sonst. Diesmal lag etwas anderes in ihrem Blick, eine Furcht, wie er sie noch nie zuvor bei ihr gesehen hatte. Er verstand, dass gerade etwas Furchtbares geschah. Seine Umarmungen kamen ihm so machtlos vor.
«Was ist passiert, Mama?»
«Es ist Mehran. Mehran. Er …»
Sie verstummte und drückte ihn stattdessen wieder an sich. Presste ihr Gesicht in sein Haar. Sie wusste nicht, ob sie überhaupt noch mehr zu ihm sagen konnte oder sollte. Wie konnte sie etwas erklären, das sie selbst kaum verstand? Wie sollte sie den Namen aussprechen, der so lange wie ein Gespenst zwischen ihnen umhergeschwebt war, der Schatten, an dessen Existenz sie zuletzt sogar selbst gezweifelt hatte.
Joseph.
Mehran war auf dem Weg, ihn zu treffen. Jetzt würde es wieder geschehen. Genau wie letztes Mal, als Josephs Name aufgetaucht war. Mehran würde verschwinden, so wie sein Vater. Der Mann, der neun Jahre lang nur ein Name gewesen war, würde ihrer Familie erneut Schaden zufügen. Sie wusste es. Es war ihr Fehler. Sie hatte ihn wieder hereingelassen, indem sie ihn nicht vergessen wollte. Sie hatte das Monster am Leben erhalten. Es genährt, und jetzt hatte sie ihm ihren Erstgeborenen zum Fraß vorgeworfen. Sie umklammerte Eyer und überlegte, ob sie ihn jemals wieder loslassen konnte. Sie glaubte nicht. Aber sie musste etwas tun. Sie durfte nicht aufgeben.
Ihr Blick fiel auf die Visitenkarte, die ihr der etwas dickliche Polizist hinterlassen hatte, der sie auf eine Weise angesehen hatte, die ihr ganz und gar nicht gefiel. Das Kärtchen lag einsam auf dem Tisch neben dem Telefon.
Auch wenn die Polizei ihr schon früher nie geholfen hatte, jetzt hatte sie einfach niemand anderen mehr. Sie musste den Mann überzeugen, damit er verstand.
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C harles Mikael Cederkvist, geboren 1966 in Hedemora. Lebt seit dem Jahr 2006 in Oskarshamn mit Marianne Fransson zusammen. Keine Kinder. Der Bruder Adam war zwei Jahre jünger.»
Billy stand im Konferenzraum, wo alle, noch immer mit Ausnahme von Vanja, versammelt waren. Sebastian hatte mehrmals erfolglos versucht, sie zu erreichen. Allmählich machte er sich wirklich Sorgen. Sie war zur Mittagszeit verschwunden, und seither hatte niemand etwas von ihr gehört. Er beschloss, am Abend bei ihrer Wohnung vorbeizufahren. Jetzt versuchte er, sich auf den Mann zu konzentrieren, den Billy wie eine Tapete an die Wand projiziert hatte. Der im besten Falle nur seinen eigenen Bruder umgebracht hatte.
«Die Familie zog nach Södertälje, als er dreizehn war und der Vater einen Job bei Scania bekam», berichtete Billy. «Charles absolvierte dort auch seinen Wehrdienst, bewarb sich für die Offiziersschule und machte anschließend eine Spezialausbildung. 1998 wurde er vom Abschirmdienst rekrutiert, aber das ist alles, was wir wissen.»
Er sah die anderen an.
«Der MUST gibt keine Informationen heraus, sie wollten nicht einmal bestätigen, dass Charles dort
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