Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
Verbindung beendet. Ein fehlender Abschiedsgruß musste nicht unbedingt heißen, dass sie sauer war. Es konnte genauso gut bedeuten, dass sie sich wieder ihrer Arbeit widmen wollte. Von dem Anruf gestört worden war. Er entschied sich, an Letzteres zu glauben, und ging wieder ins Bad.
Wildgulasch, Kartoffelspalten, Salat und kalt gerührte Preiselbeeren. Anschließend eine Mousse aus weißer Schokolade.
Sie hatten gerade mit dem Dessert angefangen, als Hedvig Hedman die Treppe zu jenem Teil des Restaurants hinaufkam, der als «Dachboden» bezeichnet wurde. Nach einer kurzen Begrüßung legte sie einen Aktenordner auf den Tisch.
«Es könnte sein, dass wir zwei von ihnen identifiziert haben. Die beiden mit der Kleidung», fügte sie hinzu.
Torkel schlug den Ordner auf, den sie ihm hingelegt hatte. Vanja, die neben ihm saß, beugte sich näher heran. Billy und Jennifer standen auf und gingen um den Tisch herum, damit sie Torkel über die Schulter sehen konnten. Sebastian rührte sich nicht von der Stelle. Er verließ sich darauf, dass die Polizeibezirksdirektorin auch einen mündlichen Bericht abgeben würde. Und er täuschte sich nicht.
«Zwei Holländer, die im November 2003 verschwanden. Jan und Framke Bakker aus Rotterdam. Derjenige, der sie als vermisst gemeldet hat, gab an, dass sie ihre Wanderung am 27. Oktober in Åsen in Norwegen beginnen und eine Woche später in Vålådalen beenden wollten. Beide waren sehr erfahrene Wanderer. Im Jahr ihres Verschwindens suchten wir bis zum 18. November nach ihnen, dann fiel der erste Schnee.»
«Warum glaubt ihr, dass sie es sind?», fragte Torkel und sah von den Dokumenten auf. «Sind sie die Einzigen, die hier in der Gegend verschwunden sind?»
«Nein, aber das einzige Paar. Außerdem wurde bei ihrer Vermisstenmeldung angegeben, dass sie in grauer Kleidung mit gelben Applikationen wanderten.»
Hedvig blätterte zu einer Plastikhülle hinten im Ordner. Darin lag ein Foto von einem Mann und einer Frau, beide Ende zwanzig, aufgenommen auf irgendeinem schneebedeckten Gipfel. Sie trugen Sonnenbrillen und waren gebräunt und wettergegerbt. Die Frau hatte dickes, rotes, zu einem Pferdeschwanz gebundenes Haar. Der Mann war beinahe kahlköpfig. Beide lächelten in die Kamera und machten das Victory-Zeichen. Sie trugen robuste, graue Wanderkleidung mit gelben Aufnähern.
«Könnte mit den Kleidungsresten im Grab übereinstimmen», sagte Vanja, als sie das Foto sah.
Torkel stimmte ihr zu. Ohne Zweifel. Ursula musste unbedingt einen Blick darauf werfen, sobald sie zurückkam.
Zwei Stunden später saßen sie in einem der Konferenzräume der Fjäll-Station. Wäre es nicht dunkel gewesen, hätten sie von hier aus einen phantastischen Blick über die sanft herbstfarbene Gebirgswelt gehabt. Jetzt sahen sie nur sich selbst, in der Scheibe gespiegelt, erleuchtet von vier starken Neonröhren, die sie alle bleicher und fahler aussehen ließen, als sie es eigentlich waren. Die Kaffeetassen, die Thermoskanne und die Wasserflaschen auf dem Tisch ließen die Situation sehr vertraut wirken. Bis auf Jennifer hatten sie alle schon viele Male in ähnlichen Räumen gesessen. Ohne die besondere Aussicht war dies nur ein Versammlungsraum wie viele andere.
Billy hatte die Fotos vom Fundort ausgedruckt und heftete sie mit Magneten an ein Whiteboard.
«Gehen wir also einmal davon aus, dass es die Holländer sind, die wir gefunden haben», begann Torkel. «Wenn es so wäre, hätten wir einen ungefähren Tatzeitpunkt. Aber wir müssen uns sicher sein. Vanja, nimm Kontakt zu den holländischen Kollegen auf und erkundige dich nach Zahnabdrücken, Röntgenaufnahmen oder anderen Unterlagen, anhand derer wir sie identifizieren könnten.»
Vanja nickte und nahm den Ordner entgegen, den Torkel ihr reichte.
«Aber wo kamen sie her?»
Alle Blicke richteten sich auf Sebastian, der aufgestanden war und zur Tafel mit den Fotos schlenderte.
«Ähm, Holland … Rotterdam.»
Sebastian warf Billy einen müden Blick zu.
«Aha, die Holländer kamen also aus Holland. Danke, darauf wäre ich nie gekommen.»
Billy holte Luft, als wollte er etwas entgegnen, ließ es dann aber doch sein und sank ein wenig auf seinem Stuhl zusammen.
«Ich meinte die hier», fuhr Sebastian fort und klopfte mit den Fingern auf eines der Bilder. «Sechs Personen. Zieht mal vier Menschen aus und schlagt ihnen die Zähne heraus. So etwas dauert. Würde der Täter anschließend auch noch ein fast ein Meter tiefes Grab ausheben,
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