Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
antwortete er und schüttelte den Kopf. «Das Büro wollte mir einen schicken, aber ich habe abgelehnt.»
«Aber warum?»
«Ich weiß nicht. Ich dachte, dass du dann vielleicht etwas davon erfahren würdest. Das wollte ich nicht.»
Noch immer wagte er es nicht, ihr in die Augen zu sehen.
«Ich hätte es doch sowieso erfahren. Was hast du dir eigentlich gedacht? Dass du so etwas geheim halten könntest? Ich bin Polizistin!»
Valdemar schüttelte den Kopf. Das stimmte nicht. Man konnte durchaus Dinge geheim halten. Sie verdrängen und hoffen. Bisher hatte es auch funktioniert.
«Sie hatten mich schon vor ein paar Jahren verhört, aber die Voruntersuchung wurde eingestellt. Ich hatte gehofft, dass es diesmal genauso wäre», erklärte er und sah zu ihr auf. «Dass du nie davon erfahren müsstest.»
Vanja wurde noch blasser. So etwas hatte sie nicht hören wollen. Genau wie er wünschte sie, dass alles wieder so wäre wie bisher. Dass diese Absurdität nur eine Klammer in ihrem Leben darstellte. Einen Fehler, der sich erklären und genauso aus der Welt räumen ließ, wie er aufgetaucht war. Von einer früheren Ermittlung zu erfahren, stärkte diese Illusion allerdings nicht gerade.
«Worum ging es denn dabei?», fragte sie erstaunlich gefasst.
Er kannte sie. Welche Gefühle auch immer in ihr geherrscht hatten, als sie den Raum betrat – sie mussten jetzt weichen. Vanja wurde allmählich wütend.
«Um dasselbe wie jetzt auch. Unterschlagung, Betrug, Veruntreuung, Steuerhinterziehung …»
«Und das Verfahren wurde eingestellt?»
«Ja, aber jetzt sagen sie, sie hätten neue Beweise gefunden.»
Er hielt inne, wollte nicht mehr sagen, aber er kannte sie, er wusste, dass sie als Nächstes danach fragen würde, was für Beweise das waren. Sie würde es ohnehin früher oder später herausfinden. Dann war es besser, wenn sie es von ihm erfuhr.
«Über Daktea», sagte er leise.
Sie beugte sich vor. Starrte ihn an, als sei er ein Fremder. In ihrem Blick lag etwas, womit sie ihn noch nie bedacht hatte.
Kälte.
«Du warst in den Daktea-Fall verwickelt?!»
«Ich wusste nicht über die Konsequenzen Bescheid», antwortete er und schüttelte den Kopf, als könnte er selbst noch immer nicht fassen, was eigentlich passiert war. Wie groß das alles war. «Ich habe mich auf die falschen Personen verlassen.»
Er streckte seine Hand nach der ihren aus. Sie weigerte sich, sie zu nehmen. Wenn seine Hände gealtert waren, hatten ihre das Interesse verloren. Er schielte zu dem Wärter hinüber, der sie neugierig beobachtete. Sie verlangte eine Erklärung, er musste seine Worte allerdings genau abwägen.
«Ich wollte doch nur, dass es uns allen gutgeht, Kleines.»
Er hörte selbst, wie hohl diese Ausrede klang.
Sie ganz offensichtlich auch.
«Uns ging es doch wohl immer gut», erwiderte sie in scharfem Ton.
Sie hatte recht. Wie immer. Was hatte ihnen schon gefehlt? Materielles. Dinge. Nichts, das wirklich von Bedeutung war. Nichts, was das ersetzen konnte, das er nun zu verlieren drohte. Aber er hatte so gern der Vater sein wollen, der alles problemlos ermöglichen konnte. Der seiner Familie das Leben bieten konnte, das alle anderen auch zu haben schienen. Einer, auf den sie stolz sein konnten.
«Ja, aber deine Mutter wollte so gern ein Sommerhaus, du brauchtest eine Wohnung und …»
Von einer Sekunde auf die nächste wurde sie aufbrausend: «Die Wohnung?! Versuchst du etwa, mich in diese Sache mit hineinzuziehen? Willst du mir sagen, dass du mir zuliebe hier sitzt?»
«Vanja, bitte, nein. So habe ich das nicht gemeint.»
«Wie hast du es dann gemeint?»
Er wurde unter ihrem Blick immer kleiner. Sank in sich zusammen. Er war nichts mehr wert. Ein Lügner, ein Betrüger. Er musste es ihr irgendwie verständlich machen. Wie einfach es gewesen war. Wie verlockend. Wie berauschend. Wie er mitgezogen worden war und am Ende nicht einmal mehr darüber nachgedacht hatte, dass es illegal war. Das musste er sagen, aber er fand die richtigen Worte nicht.
«Ich weiß nicht», antwortete er nur. «Ich weiß es nicht, Vanja.»
Alles war ein einziges Chaos. Die einzigen Worte, die ihm noch blieben, schienen banal.
«Ich liebe dich. Ich liebe dich so sehr, und ich wollte …» Er hielt inne und wischte sich mit der Hand eine Träne von der Wange. «Ich wollte dir alles geben.»
«Ich habe nie um alles gebeten.»
Die Kälte in ihrer Stimme war schrecklich. Sie bohrte sich wie ein eiskalter Wurm in seine Brust. Raubte ihm fast
Weitere Kostenlose Bücher