Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
den Atem.
Seine Liebe war ihr egal.
Wie war das möglich? Früher hatte sie ihr alles bedeutet. Das wusste er. Aber er hatte sie hintergangen. Auf die schlimmstmögliche Weise. Sich hinter ihrem Rücken an Betrügereien beteiligt und sich nach all den Jahren als ein anderer Mensch erwiesen als derjenige, den sie zu kennen glaubte. Sie angelogen. Das konnte man mit Vanja nicht machen. Sie war ehrlich und erwartete das auch von anderen. Es war einfach. Er wusste es, wusste, was er tun musste, um sie zurückzugewinnen. Doch statt ihr die Wahrheit zu erzählen, log er erneut.
«Ich habe nichts Illegales gemacht.»
«Was hast du dann gemacht?»
Er wusste, dass sie ihn durchschaute. Für sie war er wie ein offenes Buch, und dennoch versuchte er, sich herauszuwinden. Er konnte nicht anders.
«Vielleicht habe ich den Bogen ein bisschen zu sehr überspannt. Habe Leuten geholfen, denen ich besser nicht hätte helfen sollen.»
«Du hast es getan», sagte sie wie eine Feststellung. Jetzt war ihre Stimme vollkommen emotionslos. Sie hätte genauso gut über das Wetter reden können.
Valdemar schwieg und sah sie flehend an, als sie ruhig den Stuhl zurückschob und aufstand.
«Für was auch immer du angeklagt bist. Du hast es getan.»
Sie drehte sich um und ging auf die Tür zu.
«Vanja, bleib. Bitte», rief er verzweifelt.
«Die zehn Minuten sind um.»
Der Wärter sah auf die Uhr und schüttelte den Kopf.
«Nein, Sie haben noch drei Minuten.»
Vanja wandte sich dem Mann zu, und Valdemar hoffte, dass sie ihrem Vater diese Minuten noch gönnen würde.
Hundertachtzig Sekunden.
Hundertachtzig Sekunden waren viel Zeit.
«Vielen Dank, aber ich möchte ihn nicht länger sehen.» Mit diesen Worten verschwand sie.
Valdemar vergrub sein Gesicht in den Händen. Er hoffte, dass er sich nie wieder in diese Wirklichkeit begeben müsste. Die Wirklichkeit, in der seine Tochter für ihn nicht mehr da war.
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M ehrans Herz pochte hart vor Wut, und ihm war ganz heiß. Er hatte ein Machtwort gesprochen. Und zwar ein ordentliches. Hatte die Tür zu seinem Zimmer so fest hinter sich zugeschlagen, dass im Flur ein Familienbild von der Wand gefallen war. Jetzt lag er auf seinem Bett und starrte an die Decke. Sie hatten sich noch nie so gestritten. Nicht einmal, als er heimlich mit Levan geraucht und seine Mutter sie beide erwischt hatte. Aber dies war ja auch etwas anderes. In jeder Hinsicht. Seine Mutter hatte Eyer und ihn hintergangen. Sie sagte, sie hätte es ihnen zuliebe geheim gehalten. Um sie zu schützen. Aber er wusste, dass dies nicht der Grund war.
Es war so, wie Memel gesagt hatte.
Shibeka ist verwirrt. Hamid war ihr Rückgrat. Und wenn man kein Rückgrat mehr hat, verliert man das Gleichgewicht. Du musst ihr helfen, verstehst du?
Mehran hatte seine Mutter immer vor dem beharrlichen alten Mann verteidigt, der glaubte, dass sie ihren Platz nicht kannte. Hatte ihm erzählt, wie sehr Shibeka sich stets für sie einsetzte, wie sie immer alles für sie tat. Dass sie die beste Mutter war, die sich ein Sohn nur wünschen konnte. Dass sie arbeitete und eine Ausbildung machte, damit es ihnen besserging. Dass sie ihretwegen Schwedisch lernte. Aber jetzt wurde ihm klar, dass Memel wohl recht hatte.
Seine Mutter war tatsächlich verwirrt.
Es gab keine andere Erklärung. Sie war viel zu weit gegangen. Er hatte nichts gesagt, als sie wieder und wieder Briefe verschickt hatte, an die Sozialbehörden, die Polizei und auch an Zeitungen. Er hatte stumm danebengestanden und zugehört, wie sie den Polizisten mit Hamid in den Ohren gelegen hatte, obwohl er genau wusste, dass es die nicht interessierte. Für die Uniformierten war sie doch nur eine Kameltreiberin, die sich unnötig aufregte. Aber er hatte nie etwas gesagt. Er hatte immer auf ihrer Seite gestanden.
Und das war also ihr Dank.
Dass sie ihn hinterging.
Er drehte sich um und griff nach dem MP3-Player, den er zum Geburtstag bekommen hatte. Steckte die Kopfhörer in die Ohren. Er mochte House Music. Avicii war am besten. Er scrollte zu «Levels» und drehte die Lautstärke auf. Musik machte die Dinge irgendwie deutlicher. Als würde durch sie alles klarer und reiner, und damit ließ sich auch die Wut leichter bewältigen. Durch Musik sah man das Leben wie ein Bild. Es tat nicht mehr so weh. Er wusste, dass seine Mutter es nicht leicht hatte. Sie tat ihr Bestes.
Aber sie war verwirrt.
Das hatte sie mit ihrem letzten Einfall deutlich bewiesen.
Natürlich
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