Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition)
es gewesen war. Dann nahm er ihm den schweren Mantel ab, den er trug, und ließ ihn in der Kälte zittern. Trotz des auf der Brust aufgenähten Adlers und des Hakenkreuzes war ein solches Kleidungsstück wertvoll, um sich vor der Kälte zu schützen.
Das war die letzte Handlung des Francesco Ferri. In jenem Augenblick wurde Comandante Sfregio, »Kommandant Schmiss«, geboren.
3
S fregio beschloss, seine letzte Zigarette zu rauchen, um die Mission zu feiern. Der Krieg war zu einer Abfolge verzweifelter Situationen geworden. Ein aus einem Schornstein aufsteigendes Rauchwölkchen konnte bedeuten, dass etwas kochte, und die Deutschen anlocken. Die Leute riskierten lieber, vor Kälte zu sterben, anstatt einen Herd anzuzünden. Es gab auch Partisanen, die ihrerseits noch einen Beitrag einforderten von den zermürbten Familien, die dem Gott des Krieges bereits ihr vom Hunger besiegtes oder geplündertes Vieh geopfert hatten, sodass die Felder von den Stiefeln der Armeen zerfurcht wurden und nicht von den Pflügen.
Je düsterer die Verzweiflung wurde, desto heftiger wurde die Gewalt. Am 28. Dezember war Remo Succi, ein alter Mann, der mit den Übriggebliebenen von drei Generationen seiner Familie in Ca’ di Cort lebte, zum Einkaufen gegangen. Sein Sohn Fulvio war nie aus dem Großen Krieg zurückgekehrt, und sein einziger männlicher Enkel war an der Front. Succi hatte eine Handvoll Deutscher beschimpft, die gekommen waren, um Lebensmittel zu requirieren. Er hatte sie angegriffen, indem er sie an die Kopfnüsse erinnerte, die er Enrico Zanarini versetzt hatte, als dieser noch ein kleiner Junge im Schwarzhemd war, und bekräftigt, dass er nicht zögern würde, es wieder zu tun, wenn die Gelegenheit sich böte.
Das reichte, um sich eine heftige Tracht Prügel einzuhandeln, ohne jede Rücksicht auf sein Alter. Während sie versuchte, ihm zu Hilfe zu eilen, musste auch seine Frau Onelia viele Schläge einstecken, ebenso wie die Enkelin Erminia, ein geistig behindertes Mädchen, die letzte Erinnerung, die Fulvio dagelassen hatte, bevor er in wer weiß was für einem Schützengraben verschwunden war. Als der alte Succi nicht mehr gehen konnte, hatten ihn sich die Deutschen schließlich über die Schulter geworfen. Das erforderte keine allzu große Kraftanstrengung, er war ja nur noch Haut und Knochen. Er aß beinahe nichts mehr, sagte stets, er habe lange genug gelebt, die Nahrung sollte lieber an die Jüngeren gehen.
Die Verhandlungsversuche, die der Bürgermeister von Case Rosse, Prospero Raimondi, unternahm, prallten an Zanarini ab wie an einer Mauer. Also hatte Sfregio beschlossen, den alten Succi zu befreien, der in einer der Wohnungen an der Piazza gefangen gehalten wurde, wenige Meter von der Kommandantur entfernt. Was kein gutes Zeichen war, denn somit handelte es sich nicht um eine Entführung, sondern um einen offiziellen Arrest, der die amtliche Billigung irgendeiner dämlichen Obrigkeit besaß. Was, nach dem Erlass zur Bandenbekämpfung vom August 1944, das Schicksal des Mannes noch unsicherer machte.
Besetzt von den Deutschen, Tag und Nacht von Wachtposten beschützt und von zwei Panzern belagert, die ständig auf dem Platz standen, war das Geviert von Case Rosse zu einer wahren Festung geworden. Um darin einzudringen, hatten Sfregio und der Professore einen gewagten Plan ausgeheckt: Sie wollten in einem etwas vom bewohnten Zentrum abgelegenen Holzschuppen eine Explosion auslösen, um viele Soldaten nach draußen zu locken, vielleicht auch die Wachen, die den Torbogen bewachten. Andernfalls bliebe ihnen nichts anderes übrig, als offen das Feuer zu eröffnen. »Entweder wir oder die«, hatten sie den Kameraden erklärt.
Geduckt, das Garand-M1Gewehr umklammert, brachte er die wenigen Schritte hinter sich, die ihn von dem Stall trennten, in dem die anderen schliefen. Viele Partisanen besaßen die gleiche Waffe, die aus den Lieferungen der Alliierten stammte. Nur wenige hatten es bevorzugt, das alte Carcano aufzubewahren, mit dem das italienische Heer schon dreißig Jahre zuvor, im Ersten Weltkrieg, ausgerüstet worden war.
4
A m Vormittag änderte sich plötzlich alles. Atemlos keuchend traf in Ca’ de Fràb ein blasser Partisan ein, mit dunklen Haaren, den man Tabacco nannte, nach seinem Laster, das ihn mangels Nachschub dazu trieb, Zigaretten aus Lavendel, Rosmarin und sogar Stroh zu rauchen. Er hatte die Aufgabe gehabt, Remo Succis Gefängnis im Auge zu behalten. Es musste etwas Schlimmes geschehen
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