Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition)
Dunkelheit auf seinen Geist herab.
Auch wenn es niemand wissen konnte, war das letzte Jahr des Krieges angebrochen.
10
S fregio spürte, wie er hochgehoben und hin und her geworfen wurde, ohne Widerstand leisten zu können. Er unterdrückte einen Schrei. Als er die zugeschwollenen Augen öffnete, erblickte er einen schweren Tisch aus dunklem Holz. Sie hatten ihn in ein anderes Zimmer gebracht.
Er sah zum Fenster hinaus. Die Sonne stand noch tief. Er fragte sich, wie es wohl wäre, sich mit diesem indigofarbenen Himmel zu vereinen, den es nur an klaren Wintertagen gab. Er deutete ein Lächeln an. Jemand löschte es mit einem Eimer Wasser. Tausend Nadeln, eiskalt und glühend heiß zugleich, durchbohrten ihn.
Während er Blut erbrach, fand er sich mit dem Blick zum Fußboden wieder. Seine Hände waren hinter dem Rücken gefesselt, zusammengehalten von etwas Kaltem und Hartem. Der Winkel, in dem sein rechtes Bein unterhalb des Knies abgespreizt war, ließ keinen Zweifel daran, dass es gebrochen war. Er folgte mit dem Blick den Fugen zwischen den Ziegeln, bis er an einem Paar schwarzer Stiefel hängen blieb, von Schlamm und schmutzigem Schnee verdreckt.
Hinter dem Schreibtisch blickte der Henker ihn mit ausdruckslosen Augen an. Er gab einem Soldaten, der näher trat, einen Befehl.
»Nichts für ungut, ne?«, sagte er, als er sich neben ihm herunterbeugte. Sfregio hob mit Mühe die geschwollenen Augenlider. Er hätte ihn nicht von den zahllosen anderen unterscheiden können, die ihn während der Nacht gefoltert hatten. Sein Blick blieb an den Augen hängen.
Der Junge, der gepinkelt hatte. Endlich erkannte er denjenigen, der ihn zum Tod verurteilt hatte. Sie waren zusammen auf die einzige Schule in Case Rosse gegangen, wenn auch in verschiedene Klassen.
»Berto … Guerzoni«, flüsterte er, dann begann er noch mehr Blut zu erbrechen. Mit einem empörten Aufschrei sprang der Soldat von diesem Ungeheuer mit den zerschlagenen Zähnen weg, die von rotem Schaum umhüllt waren.
»Du wirst doch wohl keine Angst haben?«, fragte Zanarini. »Es wäre schon ein Wunder, wenn der den Prà grand lebend erreichen würde.«
»Aber er hat meinen Namen ausgesprochen!«
»Das bedeutet, dass er bei klarem Verstand ist. Er wird so nur noch mehr leiden. Führ die Befehle aus, wenn du nicht genauso enden willst!«
Zögerlich kniete Guerzoni sich wieder hin. Ohne Sfregio in die Augen zu sehen, stülpte er ihm eine schwere schwarze Kapuze über das gemarterte Gesicht.
Von da an konnte er nur noch ahnen, was mit ihm geschah. Sie rissen ihn mit Gewalt hoch, was ihm stechende Schmerzen bereitete. Dass er nach draußen geschleift wurde, merkte er an der Kälte, die jedoch bald wieder nachließ. Die Geräusche und die Erschütterungen, die er wie tiefe Schnitte spürte, ließen ihn ein Fahrzeug erkennen. Dann verlor er erneut das Bewusstsein.
Er kam wieder zu sich, als man ihn zu Boden warf, ohne ihm die Kapuze abzunehmen. Kälte und Feuchtigkeit. Sie würden ihn im Freien töten. Sie trieben ihn auf die Beine und hielten ihn gewaltsam aufrecht. Bei den wenigen Schritten, die sie ihn zwangen auf einem Bein zu hüpfen, das sich anfühlte, als bestünde es aus Pudding, ergab er sich dem Schmerz. Er hatte das Leben derjenigen gerettet, die er am meisten liebte. Das war das Einzige, was zählte.
Jemand half ihm, ein paar Stufen hinaufzusteigen, weich und unregelmäßig. Jetzt war es, als würde das gebrochene Schienbein in kochendes Öl getaucht.
»Heubunde«, sah sich einer von denen, die ihn mit sich schleiften, genötigt, klarzustellen. Aus welchem Grund auch immer. Er hatte keine Schwierigkeiten, Berto Guerzonis Stimme zu erkennen.
Sie legten ihm etwas um den Hals. Die Kälte an seiner Haut überraschte ihn. Es handelte sich um Metall, nicht um ein Seil. Wichtig war nur noch, dass man ihm einen schnellen Tod bescherte, aber er zweifelte daran, dass sie ihm solches Erbarmen schenken würden.
In seinem Geist wurde die Dunkelheit, die ihm von der Kapuze aufgezwungen wurde, durch einen indigoblauen Himmel ersetzt, in dem er schwerelos und ohne Schmerzen dahintrieb.
11
P apa …«
Eine Kinderstimme bahnte sich den Weg in sein Bewusstsein.
»Papa …«
Er träumte vom letzten Treffen mit seiner Frau und seinen Kindern. Es war Valerio, der ihn rief. Er versuchte, sich den verblüfften Gesichtsausdruck des Kindes in Erinnerung zu rufen, als er ihm die Zwille in die Händchen gegeben hatte. Der Schmerz, der ihn durchfuhr, zeigte
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