Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition)
Handgelenke entgegen. »Keine Angst«, ermutigt er sie mit einem Kichern, als er sieht, wie ihr die Hände zittern. »Wenn du mit Serra zusammenbleibst, wirst du dich an wesentlich Schlimmeres gewöhnen müssen.«
Roberto beugt sich über den Henker. »Du hast immer eine Wahl gehabt«, flüstert er ihm ins Ohr. »Und du hast immer schlecht gewählt. Der Moment ist gekommen, an dem du dafür bezahlst.«
Bei jenen Worten füllt ein bösartiges Licht die Augen des Alten.
Da ist er, der Blick des Henkers.
3
A lices Hände zittern noch, als sie den Kofferraum des Celica öffnet.
»Wir dürfen keine Zeit verlieren«, wirft ihr Roberto vor, der will, dass sie sich sofort wieder hinters Steuer setzt.
»Du hast Glück, aus zwei Gründen. Der erste ist, dass ich dich liebe, obwohl du so einen Scheißcharakter hast. Der zweite ist, dass ich Ärztin bin und in meiner Tasche Schmerzmittel habe.« Sie streckt ihm zwei Tabletten hin. »Lass sie unter der Zunge zergehen, die werden dich auf den Beinen halten.« Sie blickt ihn ernst an. »Nur für ein Weilchen«, schließt sie, bevor sie sich ans Steuer setzt.
Roberto nimmt die Medikamente ohne jedes weitere Wort.
»Wenn ich du wäre, würde ich mich ausruhen«, ermahnt sie ihn, kaum dass sie wieder unterwegs sind. »Du siehst nicht gerade gut aus.«
Die Versuchung, sich gehen zu lassen, ist schier übermächtig, aber Roberto widersteht. Er muss Alice die ganze Geschichte erzählen und ihr sagen, wohin sie fahren. Wen sie suchen. Er hebt den Blick zu ihrem Ziel, das in den Wolken verborgen liegt, und beginnt zu erzählen.
Als sie plötzlich in den Schneefall eintauchen, ist es wie der Wechsel in eine andere Dimension. Der Schneefall verdichtet sich, während die Straße immer steiler und kurviger wird, bis er schließlich zu einem richtigen Schneesturm wird.
Es scheint, als würde der Schnee nie wieder aufhören zu fallen. Nur Alices Geschicklichkeit ist es zu verdanken, dass der Wagen eine Geschwindigkeit beibehält, die Roberto nicht einmal bei gutem Wetter erreichen würde.
Der Fall der Flocken wirkt wie ein stummes Wiegenlied. Roberto, erschöpft, ergibt sich. Ein wattiges Gefühl umfängt ihn, dem er keinen Widerstand entgegensetzt. Nach wenigen Sekunden sackt er in seinem Sitz zusammen.
Alice achtet allein auf die unterschiedlichen Geräusche des Wagens, um so gut wie möglich zu reagieren. Die Sicht wird immer schlechter, aber sie löst doch hin und wieder ihren Blick von den Kurven und sieht Roberto an. Sie ist von seiner Sturheit beeindruckt. Und erschrocken über den gewalttätigen Ausbruch gegenüber Zanarini.
Ihre Blicke und Gedanken müssen so schwer sein, dass sie Roberto an dem Ort erreichen, an den er sich zurückgezogen hat, um dem Schmerz und dem Fieber zu entfliehen. Er bewegt die Lippen und flüstert: »Ich lasse mich behandeln, das versprech ich dir. Ich gehe zu Ärzten, ich nehme Medikamente. Aber du, bleib bei mir.«
Alice ist so verblüfft, dass sie das Lenkrad plötzlich herumreißen muss, um auf der Straße zu bleiben. Der Celica schleudert, und Roberto reißt die Augen auf.
»Was ist los?«, fragt er mit belegter Stimme.
Sie hält einen Daumen hoch und täuscht Sicherheit vor. »Alles unter Kontrolle.« Sie hofft, dass er die Tränen nicht bemerkt, die ihre Augen füllen.
»Wie lange hab ich geschlafen?«
»Eine halbe Stunde, es sollte nicht mehr weit sein.«
Sie folgen dem Streifen aus flachem Schnee, den der Schneepflug in der Mitte der Straße freigelegt hat. Würden sie auf den vierzig Zentimeter breiten Straßenrand kommen, würde sie die Kontrolle über das Fahrzeug verlieren. Einige Kilometer weiter ist der Schneefall so dicht, dass Roberto jede Orientierung verliert. Die Scheinwerfer dringen kaum durch. Wären sie zu Fuß, könnte man sagen, sie würden sich vorantasten.
Er hat keine Ahnung, wie Alice es anstellt, immer noch weiterzufahren. Ihr Blick aus den amberfarbenen Augen ist fest auf die Straße gerichtet. Plötzlich sieht er, wie sie sich weiten. Er ahnt, was geschieht.
Hektische Bilder. Die Straße bergauf, eine Reihe Kastanien an der Seite, die Straße, diesmal bergab. Ein Schneehaufen. Die Straße, Alices Hände am Lenkrad. Das Auto dreht sich um sich selbst, hält auf die Bäume zu, dann wechselt es die Richtung. Ein dumpfer Aufprall auf der Fahrerseite wird zu einer Explosion in Robertos Brustkasten. Die Räder drehen durch. Der Motor heult auf, dann geht er aus.
Sie stecken irgendwo mitten im Schneesturm
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