Die toten Mädchen von Villette
sagte der Engländer dankbar, es war etwas anstrengend in der letzten Zeit.
– Jaja, sagte Christian freundlich, als sie ihren Kaffee bekommen hatten, wo waren wir? Stimmt, wir haben über den Freitagabend geredet. Ihr Beruf scheint mit meinem wirklich viel gemeinsam zu haben, zumindest die hoffnungslosen Arbeitszeiten. Haben Sie so lange dagesessen und geschrieben, daß Sie überhaupt kein Abendessenbekommen haben? Ich selbst mußte an diesem Abend von belegten Broten und Automatenkaffee leben.
Richards bedachte ihn mit einem nachdenklichen Blick.
– Ja, ich war gegen halb elf fertig, sagte er, dann bin ich in die Hotelbar runtergegangen und habe ein Bier getrunken, dazu ein paar Würstchen gegessen. Hören Sie, Kommissar, wie haben Sie eigentlich rausgekriegt, daß wir mit Sabrina Deleuze geredet haben?
– Fernsehbilder und Fotos, sagte Christian lässig, Madame Poirot hat sie von den Fernsehgesellschaften angefordert, und wir haben hart daran gearbeitet, alle zu identifizieren, die man darauf sieht.
– Treffen Sie noch andere Journalisten, die an der Reise teilgenommen haben?
– Ja, sicher, sagte Christian wahrheitsgemäß, ich habe im Laufe des Nachmittags mehrere Treffen.
Er hatte drei der vier Journalisten erreicht, die wie Richards und Marinelli sowohl während der diesjährigen Prozession als auch während des Außenministertreffens 1982 in Villette gewesen waren, und wollte sie im Laufe des Nachmittags treffen. Er wollte auch mit dem Korrespondenten der BBC und mit einigen der anderen Journalisten reden, die man auf den Fernsehbildern hatte identifizieren können.
– Aber, fuhr er fort, wir wollten zuerst mit Ihnen sprechen, weil wir begriffen haben, daß Sie zu den Veteranen im Pressekorps hier gehören. Ich weiß nicht, ob Sie zufälligerweise die heutige Gazette de Villette gesehen haben?
Francesco Marinelli beugte sich eifrig über den Tisch.
– Ich habe sie nicht gesehen, sagte er, aber von ein paar Kollegen im Presseraum gehört, daß Sie glauben, daß es einen Zusammenhang mit dem Mord an der armenkleinen Serviererin 1982 gibt. So ein Zufall! Wir waren ja auch da.
– So, sagte Christian und schielte zu Richards. Der sah aus, als würde ihm Marinelli zuviel reden.
– Ja, sicher, sagte Marinelli, damals gab es ein informelles Außenministertreffen in Villette, daran erinnerst du dich wohl, es war mitten im Falklandkrieg, und dieses kleine Mädchen, das ermordet wurde, hatte vorher beim Presseempfang im Rathaus serviert.
– Ich erinnere mich natürlich an das Treffen, sagte Richards langsam, wie Francesco sagt, war es mitten im Falklandkrieg, und ich habe es geschafft, von all den wichtigen Außenministern Verlautbarungen über den Konflikt zu bekommen, es war ziemlich hektisch. Aber was Empfänge und Hotels und Serviererinnen betrifft, habe ich nicht die geringsten Erinnerungen. Ich war damals völlig in Anspruch genommen von meiner Arbeit.
Marinelli lachte.
– Ja, ich erinnere mich noch, wie du vor dem Hotel des französischen Außenministers in den Büschen herumgeschlichen bist, um ein Interview zu kriegen! Aber du warst mit auf dem Empfang, daran erinnere ich mich, ich glaube sogar, daß du mit diesem armen Mädchen geredet hast. Hieß sie nicht Christabelle?
– Christelle, sagte Christian, Christelle Rolland.
– So, sagte Richards, ich erinnere mich nicht. Aber ich habe eine vage Erinnerung an eine Serviererin, mit der du zusammengestanden und geredet hast, und ich glaube, ich habe auch ein paar Worte mit ihr gewechselt. Aber das Mädchen war Italienerin. Christelle Rolland klingt ja nicht italienisch.
– Sie war Halbitalienerin, sagte Marinelli, ihre Mutterwar als Kind nach Villette gekommen, und das Mädchen zeigte gern, daß sie die Sprache konnte.
– Hast du nicht davon geredet, sie zu interviewen? sagte Richards.
Marinelli zuckte die Achseln.
– Ich habe darüber nachgedacht, sagte er, aber es ist nichts daraus geworden. Ich war mit einer Reportagereihe über die italienische Einwanderung nach Belgien nach dem Krieg beschäftigt, 1982 war es genau dreißig Jahre her, daß sie ihren Höhepunkt erreicht hatte. Ich dachte, Christabelles Mutter wäre eine gute Interviewpartnerin.
– Warum ist nie etwas daraus geworden? fragte Christian.
Marinelli zuckte wieder die Achseln.
– Sie wollte mit ihrer Mutter reden, und ich sollte sie am Sonntag anrufen. Aber am Sonntag war das Mädchen ja schon tot. Eigentlich wollte ich mich mit ihr und ihrer Mutter für
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