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Die toten Mädchen von Villette

Die toten Mädchen von Villette

Titel: Die toten Mädchen von Villette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Hedström
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Christian bei dem Mordfall, der im Frühjahr mit einem politischen Skandal geendet hatte, mit Martine Poirot zusammengearbeitet hatte. Bei der Vorspeise hatte Christian zur augenfälligen Zufriedenheit der beiden Journalisten ein paar weniger bekannte Details des Falls verraten. Bei der Hauptspeise hatte ihn Nigel Richards ausgefragt, wie es war, mit Martine Poirot zu arbeiten – »nur Hintergrund, ich werde Sie nicht zitieren«, hatte er beruhigend versichert.
    Aber jetzt waren sie beim Kaffee, und jetzt stellte Christian die Fragen. Marinelli und Richards erinnerten sich sehr gut an ihre Begegnung mit Sabrina Deleuze auf der Place de la Cathédrale.
    – Es war der BBC-Korrespondent, David, der ihr das Mikrofon hinhielt, als sie von dem Wagen stieg, und dann machten es ihm alle nach, aber wir waren wohl unter den letzten, die mit dem armen Mädchen da auf dem Platz geredet haben, sagte Marinelli und unterstrich seine Worte mit raschen, präzisen Gesten.
    Er war ein feingliedriger Mann, groß für einen Italiener, mit kräftiger römischer Adlernase und lebhaften braunen Augen unter einem noch dicken weißen Schopf. Christianschätzte sein Alter eher auf sechzig als auf fünfzig, vielleicht sogar etwas mehr. Er bewegte sich etwas steif mit einem kaum merkbaren Hinken; während des kurzen Spaziergangs zum Restaurant hatte er erzählt, daß er sich das Bein 1956 in Budapest verletzt hatte, als er auf einer Barrikade gestanden und sowjetische Panzer fotografiert hatte.
    – Danach habe ich die Kamera an den Nagel gehängt und bin Korrespondent in Brüssel geworden, hier muß man selten Leib und Leben riskieren, hatte er mit einem schiefen Lächeln gesagt.
    – Und die Sportkarriere war auch zu Ende, warf Richards ein, bester Kommissar, Sie sehen den Mann vor sich, der einen Millimeter davon entfernt war, Nordafrikameister in vierhundert Meter Hürden zu werden.
    – Nordafrika? sagte Christian erstaunt.
    – Ja, sagte Marinelli, ich bin in Tunis aufgewachsen, in meiner Jugend gab es da immer noch viele Italiener, obwohl es eine französische Besitzung war. Ich und Claudia Cardinale, Sie wissen schon.
    Christian merkte sich die Angaben. Irrelevante Details, dachte er, aber man weiß nie, wann sie gelegen kommen können. Manchmal ist ein irrelevantes Detail genau das Puzzleteil, das man braucht, um das ganze Motiv zu sehen.
    – Aber warum wollten Sie Sabrina interviewen, fragte Christian, ich verstehe, daß sie sich im Fernsehen gut gemacht hat, aber welche Verwendung hatten Sie für ein solches Interview in Ihren Medien gehabt?
    Marinelli und Richards sahen einander an. Richards zuckte die Achseln.
    – Lokalkolorit, sagte er, wenn wir etwas über Villette geschrieben hätten, wäre es als Statement der lokalen Bevölkerung verwendbar gewesen. Außerdem habe ich ihr einpaar Fragen zu Ihrem politischen Skandal im Frühjahr gestellt, ich wollte einen größeren Artikel darüber schreiben, wenn die Parlamentskommission später ihren Bericht vorstellt, und ein paar lokale Reaktionen dabeihaben.
    – Hatte Sabrina Deleuze über diese Geschichte etwas zu sagen? sagte Christian erstaunt.
    Nigel Richards lächelte zynisch. Er hatte einen erstaunlich kleinen und gespitzten Mund in einem langen Gesicht und sah distinguiert, aber etwas verwahrlost aus. Seine ergrauenden dunklen Haare begannen, am Scheitel dünn zu werden.
    – Oh, sagte Richards, sie sagte die richtigen Dinge. Sie war schockiert und enttäuscht, ihr Glaube an die Gesellschaft und die Politiker war von Grund auf erschüttert worden und so weiter.
    – Wie lange haben Sie mir ihr geredet? fragte Christian.
    – Fünf Minuten vielleicht, sagte Marinelli, oder etwas länger, aber nicht mehr als zehn Minuten.
    – Und danach, sagte Christian, gingen Sie direkt dort weg, oder konnten Sie noch sehen, was Sabrina nach Ihrem Interview tat?
    – Warten Sie, sagte Marinelli, als wir fertig geredet hatten, kam, glaube ich, eine Gruppe Jugendlicher, die sie in den Arm nahmen, stimmt’s, Nigel?
    Richards nickte zustimmend.
    – Auf dem Weg zum Hotel ging ich noch zu einem Tabakladen auf der anderen Seite des Platzes, fuhr Marinelli fort, und Nigel blieb zurück und wartete auf mich. Hast du da was gesehen?
    Richards runzelte die Stirn.
    – Ich stand da und habe mich umgesehen, sagte er zögernd, es passierte ja noch immer viel auf dem Platz,Kamele, die brüllten, Pferde, die weggeführt wurden, die Bühne, die gerade aufgebaut wurde. Aber ich sah die junge Deleuze wieder,

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