Die toten Mädchen von Villette
nicht auch auf der anderen Seite des Flusses angeklopft haben, das hätten wir tun sollen, aber die Ressourcen hatten wir da nicht. Ich kann jetzt vielleicht einen oder zwei Mann darauf ansetzen, wenn sie zum Beispiel beim Brückenkopf anfangen.
Er runzelte nachdenklich die Stirn.
– Hauptsache, wir verknüpfen nicht zu große Hoffnungen mit dieser Spur, sagte Martine, ich meine, Jean-Pierre Wastia kann sich ja geirrt haben.
– Ach, das ist, glaube ich, kein Problem, sagte Serge, wenn wir davon ausgehen, daß der Junge unschuldig ist, können wir uns darauf verlassen, daß er weiß, wovon er redet. Er ist ja der Sohn von Autoschieber-Bruno und hat von Kindesbeinen an an gebrauchten Autos herumgebastelt.
Martine kehrte beruhigt in den dritten Stock zurück, wo Agnes gerade zwei üppige Lunchsandwiches aus der Blinden Gerechtigkeit für sie aufgedeckt hatte.
Es klopfte an Martines Tür, als sie gerade fertiggegessen hatte. Vor der Tür stand Willy Bourgeois zusammen mit einem Mann, den sie noch nie gesehen hatte, ein schlanker, durchtrainierter Mann in hellem Sommeranzug und gestreiftem Hemd. Neben ihm sah Willy in seinem zerknitterten Sakko und schweißfleckigen Hemd wie ein Stadtstreicher aus. Aber er strahlte vor Stolz, als er in den Raum trat, und machte mit den Händen eine Geste, als präsentiere er ein wundertätiges Fleckenentfernungsmittel.
– Martine, sagte er, darf ich dir meinen sehr guten Freund Kriminalkommissar Walter Hallstein vorstellen, der den ganzen Weg aus Bonn gekommen ist, um uns bei unseremkleinen Mordproblem zu helfen. Wally, unsere Untersuchungsrichterin Madame Poirot.
Martine stand auf und streckte Walter Hallstein die Hand entgegen, der sie in einer ungewöhnlich großen, aber wohlmanikürten Pranke verschwinden ließ. Sein Handschlag war fest, aber nicht zu fest, seine Augen waren eisblau. Er wandte sich Agnes zu und umfaßte mit dem gleichen festen Griff deren Hand, während Willy pflichtschuldig auch sie seinem deutschen Freund vorstellte.
– Walter Hallstein, sagte Martine und runzelte die Stirn, das klingt bekannt.
Er machte eine resignierte Geste.
– So hieß auch der erste Präsident der EWG-Kommission, nein, wir sind nicht verwandt. Ich muß wohl den Namen wechseln, wenn ich anfangen soll, im europäischen Rahmen zu arbeiten, was ich hoffe.
Er sprach Französisch, aber unsicher und mit starkem deutschen Akzent.
– Wie Sie hören, ist mein Französisch nicht besonders gut, in welcher Sprache wollen wir also reden, Madame Poirot? Willy hier ist ja sehr gut in Deutsch, aber ich weiß nicht, wie das bei Ihnen ist?
– Lieber Englisch, sagte sie, wenn es Ihnen nichts ausmacht, Kommissar Hallstein.
– English it is then , sagte Hallstein.
Willy Bourgeois sah ärgerlich aus, aber Martine wußte, daß er Englisch zumindest verstand. Und wenn er nicht soviel sagen konnte, war das kein größerer Verlust, dachte sie boshaft.
– Wir setzen uns am besten in den Konferenzraum, sagte sie und ging zur Tür. Sind Sie wirklich den ganzen Weg aus Bonn gekommen, nur um uns zu helfen, Kommissar Hallstein?
– Sagen Sie Wally, sagte er, nein, ich bin eigentlich auf dem Weg nach Lyon, und da war es keine größere Mühe, hier vorbeizukommen. Das war ja ein sehr interessantes Problem, das mein Freund Willy geschildert hat, als er gestern anrief.
Willy reckte sich bedeutungsvoll.
– Nach Willys Anruf bin ich unser Archiv ungelöster Mordfälle durchgegangen, und ich habe einen gefunden, der Sie interessieren könnte, sagte Wally Hallstein, als sie sich um den Konferenztisch niedergelassen hatten. Er bückte sich und nahm ein paar Mappen aus seiner eleganten schwarzen Ledermappe.
– Julia Kessler, neunzehn, sagte er. Sie wurde am 29. Juni 1988 am Ufer des Flusses Leine bei Hannover tot aufgefunden, unter Umständen, die stark an die beiden Fälle erinnern, von denen Willy berichtet hat. Und die beiden Bilder, die Willy mir zugefaxt hat, haben eine schlagende Ähnlichkeit mit den Fotos vom Tatort in Hannover.
Er nahm ein paar Bilder aus der ersten Mappe und reichte sie um den Tisch herum. Martine betrachtete das erste Foto – noch ein blondes Mädchen, die Haare ausgebreitet über den Schultern und der Rock über ausgebreitete Beine hochgerutscht. Sie fragte sich, was er mit den Slips der Mädchen machte. Hatte er eine Trophäensammlung zu Hause?
– Der Mageninhalt, sagte sie, war er auch der gleiche?
– Mageninhalt, Mordmethode, die halbherzige Penetration mit einem
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