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Die toten Mädchen von Villette

Die toten Mädchen von Villette

Titel: Die toten Mädchen von Villette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Hedström
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erneut zu«. Martine hatte beinah vergessen, daß die Reporterin Informationen aus erster Quelle vom Tatort bekommen hatte, indem sie Gregory Vincent überrumpelte, aber sie hatte offenbar rasch die Parallelen zwischen den beiden Morden gesehen, als sie im Zeitungsarchiv die Artikel von 1982 gelesen hatte. Sie spekulierte auch frisch drauflos, daß Jean-Pierre Wastia, »der 21jährige«, bald auf freiem Fuß sein würde. Martine hätte fast den Frühstückskaffee vergossen, als sie las, daß »Quellen im Justizpalast angeben, daß Madame Poirot jetzt plant, den 21jährigen freizulassen«. Welche Quellen, dachte sie in leichter Panik, aber begriff schnell, daß fünf Personen sie davon hatten sprechen hören, den Haftbefehl aufzuheben. Das reichte mehr als genug, daß sich das Gerücht im ganzen Justizpalast ausbreiten konnte.
    – Was ist denn? fragte Thomas, als sie im Affekt den Brotkorb auf den Boden warf. Glücklicherweise war er leer.
    – Ich habe vor, Jean-Pierre Wastia freizulassen, sagte sie, aber ich fürchte, daß es deswegen Krach gibt. Da habe ich mir gedacht, daß dieses neue Mädel von der Gazette de Villette den Boden vorbereiten sollte, indem sie spekuliert, daß er als Verdächtiger nicht haltbar ist, nachdem wir den Kurs der Untersuchung geändert haben. Aber ich hatte nicht gedacht, daß sie schreiben würde, daß ich mich schon entschieden habe!
    – Aber das ist doch wahr, sagte Thomas vernünftig.
    – Danke, sagte Martine, ich brauche hier keine professorale Objektivität. Du sollst mir zustimmen, wenn ich Probleme habe!
    Thomas hob den Brotkorb vom Boden auf und sammelteein paar Croissantkrümel mit der Hand zusammen. Er lächelte sie an.
    – Ich stimme dir immer zu, sagte er, du bist so sexy, wenn du für Wahrheit und Gerechtigkeit aufstehst. Du mußt wohl die Zähne zusammenbeißen und das tun, was du für richtig hältst. Fiat justitia …
    – … ruat coelum, vervollständigte Martine düster. Aber stell dir vor, wenn der Himmel nun auf uns fällt!

    Der Himmel war hoch und blau und die Sonne sengend heiß, schon als sie zur Arbeit kam, unter Hochspannung. Aber es schien für sie nichts zu tun zu geben, außer Stellung dazu zu nehmen, wie sie mit Jean-Pierre Wastia verfahren sollte. Agnes hatte das letzte Verhör mit Jean-Pierre ausgeschrieben und sortierte es gerade in die Akte ein. Christian hatte eine Besprechung mit den Kriminaltechnikern, die den Tatort untersucht hatten, und wenn er damit fertig war, würde er sich mit seinem Freund bei der Brigade Criminelle in Paris in Verbindung setzen. Willy Bourgeois war dabei, mit dem Bundeskriminalamt in Bonn zu telefonieren. Annick Dardenne war unterwegs und redete mit jemandem, der Christelle Rolland gekannt hatte, während Serge Boissard eine weitere Anklopfaktion bei den Häusern an der Straße in der Nähe des Tatortes leitete. Anfragen nach ungelösten Mädchenmorden waren an alle Polizeidestrikte in Belgien und via Interpol an die Nachbarländer gegangen. Sie mußte warten, und das war unbefriedigend. Sie hätte sich gern eingeschaltet, um bei der Jagd auf den unbekannten Serienmörder weiterzukommen.
    Das Telefon klingelte. Agnes hob ab und reichte den Hörer zu Martine hinüber. Es war Yves Deshayes, der Gerichtspräsident. Er wollte sie sehen – augenblicklich. Das klang unheilvoll.
    – Worum geht es? fragte Martine.
    – Das erzähle ich, wenn Sie herkommen, sagte Deshayes ungeduldig, je schneller Sie also herkommen, desto schneller erfahren Sie es.
    Martine legte auf und sah Agnes an.
    – Er will mich sehen, sofort. Was kann das heißen?
    Agnes’ blaue Augen, klug und erfahren unter dem graumelierten Pony, begegneten Martines grünen. Die Rechtspflegerin schüttelte den Kopf.
    – Am besten, du gehst und hörst, was er will, sagte sie.
    Yves Deshayes’ Dienstzimmer hatte früher für die ganze Kanzlei der Bischöfe von Villette Platz geboten und war so groß wie ein mittlerer Ballsaal. Er wartete auf sie hinter seinem antiken Schreibtisch aus Walnuß, auf dem keine Papierstapel die blanke Oberfläche verdeckten. Offensichtlich hatte er nicht vor, sich mit ihr in der Sitzgruppe unter dem Fenster zur Place de la Cathédrale niederzulassen. Martines böse Ahnungen wurden immer stärker.
    Trotz der dicken Steinwände war es schon warm im Raum. Deshayes saß in Hemdsärmeln da und prüfte nachdenklich den Brieföffner an seiner Handfläche. Sein hellgraues Armani-Sakko hing säuberlich an einem Herrendiener hinter dem

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