Die toten Mädchen von Villette
Nähe von Bordeaux vergewaltigt und ermordet wurde. Ihr habt sicher irgendwann über den Fall gelesen, es war in den siebziger Jahren, eine schreckliche Geschichte mit Kokain und jungen Modellen und ekligen alten Adeligen und einigen Promis aus Politik und Wirtschaft. Das meiste wurde vertuscht, aber ab und zu gibt es einen recherchierenden Journalisten, der es wieder aufgreift. Na ja, ich war da, und Marie ist in meinen Armen gestorben. Ich will nicht darüber reden, und ich will nicht, daß Leute es wissen. Aber damals habe ich mich entschlossen, Polizistin zu werden und solche Typen wie die Männer, die Marie vergewaltigt und ermordet haben, zu entlarven. Tja, das war vielleicht nicht der klügste Entschluß der Welt, aber …
Sie lächelte wieder, das gleiche dünne und gefrorene Lächeln wie vorher, aber sie begann, etwas Farbe auf den Wangen zu bekommen.
– Aber dieser Fall, fuhr sie fort, erinnert mich daran, wie ich selbst angelockt wurde. Ich spielte mit ein paar anderen Mädchen Volleyball am Strand in La Panne, direkt an der Strandpromenade. Da kam ein Team von einer großen französischen Zeitschrift vorbei, sie fingen an, Bilder zu machen, und dann kam der Reporter, er hieß Paul Fabian, und lud mich zum Essen ein und fragte, ob ich Modell werden wollte. Und das wollte ich ja, jung und dumm, wie ich war.
Sie sah sich um.
– Ihr hört, wohin ich unterwegs bin, stimmt’s? Was sind das für Leute, die Teenager mit Starträumen, Mädchen wie Sabrina und Christelle, dazu bringen könnten, zu einer Verabredung mehrere Kilometer außerhalb der Stadt zu kommen, ohne Unrat zu wittern? Mit wem hatte sich Sabrina ein paar Stunden bevor sie ermordet wurde, getroffen? Werfährt auf europäische Gipfeltreffen, und wer wurde wegen des Kulturhauptstadtprojekts hierhergekarrt?
Jetzt saß Annick aufrecht und klaräugig da und sah aus, als gefalle es ihr, im Mittelpunkt zu sein.
– Journalisten! sagte sie.
Martine hatte schon geahnt, worauf Annick hinauswollte, und es klang immer überzeugender, je mehr sie darüber nachdachte. Sie versuchte, sich an ein Fragment eines Gesprächs zu erinnern, das sie am Samstagabend geführt hatte, etwas, das Philippe nebenbei gesagt hatte, als sie in der Blinden Gerechtigkeit zusammen zu Abend gegessen hatten, etwas, das ihm beim Empfang im Rathaus aufgefallen war. Genau, so war es!
– Mein Bruder, sagte sie, war am Samstag bei dem Empfang im Rathaus dabei, und er hat mir gesagt, daß er dort mehreren ausländischen Journalisten begegnet ist, die er aus seiner Zeit bei der Kommission in Brüssel kennt.
– Ich habe vergessen zu sagen, sagte Annick, daß Christelle Rolland am Tag bevor sie ermordet wurde, bei einem Empfang im Rathaus serviert hat, bei dem sie mit Journalisten in Kontakt kam, das hat ihre Freundin erzählt, bei der ich heute vormittag gewesen bin.
Christian strich sich nachdenklich über den kurzen, dunklen Bart.
– Ja, ich muß sagen, das klingt recht überzeugend, sagte er, aber pfui Teufel, was wird das politisch für ein Schlamassel. Wir lassen den Jungen aus der Schieberfamilie der Stadt frei und begeben uns statt dessen auf die Jagd nach den Ehrengästen des Bürgermeisters, denen, die er hierher eingeladen hat, um Werbung für Villette zu machen. Ratet mal, ob die uns im Rathaus noch mehr lieben werden! Aber wir haben ja keine Wahl. Die Frage ist nur, wie wir verfahren.
– Das Rathaus muß Listen haben, sagte Martine, sowohl von denen, die zu dem Rummel letzten Freitag und Samstag eingeladen waren, als auch von denen, die bei dem Empfang 1982 dabeiwaren. Wir müssen ja nicht sagen, daß wir hinter Journalisten her sind, wenn wir den Christelle-Fall wiederaufnehmen, ist es wohl nicht abwegig, daß wir wissen wollen, wer auf dem Empfang, auf dem sie serviert hat, dabei war.
– Die Fernsehbilder, sagte Annick, wir haben zwei arme Kerle, die dasitzen und all das Material, das wir von den Fernsehgesellschaften bekommen haben, durchsehen. Sie kriegen langsam ganz viereckige Augen, und es ist ja ziemlich aussichtslos, weil sie nicht wissen, wonach sie suchen. Aber wenn wir nach ein paar speziellen Personen suchen, ist das etwas anderes.
Martine erinnerte sich plötzlich an die Bilder, die sie von dem Fotografen bekommen hatte, der Sophie kannte. Die Mappe lag noch auf ihrem Schreibtisch. Sie ging hin und holte sie. Sie erinnerte sich, daß ein paar der Personen, die Jacques Martin hatte identifizieren können, Journalisten waren.
– Ich gebe das hier
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