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Die toten Mädchen von Villette

Die toten Mädchen von Villette

Titel: Die toten Mädchen von Villette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Hedström
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die hundert Personen, die aussahen, als hätten sie sich aus ihren klimatisierten Büros geschlichen, um »Gerechtigkeit für Sabrina, Peggy und Nadia« zu fordern. Ab und zu stimmte jemand einen Sprechchor an, der in der stillstehenden, warmen Luft dünn und lustlos klang.
    Ein paar Journalisten bewachten die Demonstranten, aber als Martine und Agnes vorbeigingen, kamen sie auf sie zugelaufen. Die Frau, die das Megafon hielt, sah sie ebenfalls und stimmte mit erneuerter Kraft wieder den Sprechchor an.
    – Madame Poirot, haben Sie einen Kommentar zu der Demonstration? sagte die Reporterin von der Gazette de Villette, die diesmal nicht Nathalie Bonnaire war.
    Martine hob die Stimme, damit sie von den Demonstranten gehört wurde.
    – Wir wollen alle Gerechtigkeit für Sabrina, Peggy und Nadia, und deshalb arbeiten wir Tag und Nacht, um ihren Mörder zu finden. Wir verfolgen im Augenblick neue Spuren in der Untersuchung.
    – Sie hatten einen Verdächtigen, den Sie freigelassen haben? sagte die Journalistin.
    – Ich fand, daß die Verdachtsmomente nicht mehr bestanden, und da mußte ich ihn natürlich freilassen. Wie ich sagte, verfolgen wir jetzt andere Spuren, sagte Martine und marschierte, gefolgt von Agnes, los.
    Jean-Pierre Santini setzte sich auf das Sofa gegenüber und verteilte einen Stapel ausländischer Zeitungen auf dem Tisch. Zuoberst lag eine englische Zeitung, die auf Seite 3 die ansprechende Überschift »Belgian Villette – Murder Capital of Europe?« hatte. Eine italienische Zeitung hattedie Schlagzeile ganz unten auf der Titelseite – »Serata di festa a Villette – Tre ragazze ammazzate«. Da waren französische Zeitungen, deutsche und holländische Zeitungen, sogar die schwedische Zeitung, die Thomas manchmal las, alle mit demselben Typ von Schlagzeilen.
    Santini riß den Aschenbecher an sich und zündete sich eine Zigarette an.
    – Wissen Sie, wie viele Millionen wir in den Kulturhauptstadteinsatz gesteckt haben? sagte er anklagend. Wissen Sie, wieviel diese Journalistenreise gekostet hat? Wenn man bedenkt, was jetzt daraus geworden ist, hätten wir das Geld ebensogut in den See schmeißen können. Wir hätten auf dem Platz hier draußen drei Ochsen grillen und allen Einwohnern von Villette eine Kiste Champagner gratis geben können, das wäre besser ausgegebenes Geld gewesen.
    – Das ist ärgerlich, sagte Martine, aber ich verstehe wirklich nicht, was das mit mir zu tun hat. Worüber jammern Sie eigentlich? Es klingt, als wären Sie der Meinung, daß ich die Mädchen ermordet habe, dabei bin ich es, die versucht, ihren Mörder zu finden.
    Er lehnte sich zurück und blies eine Reihe perfekter Rauchringe aus, die er mit dem Blick verfolgte, als sie zur Decke stiegen. Es schien ihn zu beruhigen.
    – Ja, Sie müssen ja nicht all die Fragen der Medien beantworten, sagte er, Sie können sich hinter der Schweigepflicht verstecken. Aber wir haben hier, seit die Morde geschehen sind, keinen ruhigen Augenblick gehabt, Annalisa Paolini gibt am laufenden Band Interviews, und das einzige, worum es geht, sind die Probleme, die wir in Villette haben. Fast keiner hat hier einen Job, wenn man alles glauben soll, was geschrieben wird, Gangs von arbeitslosen jungen Männern ziehen herum und begehenGewaltverbrechen, während korrupte Politiker das minimale Steuergeld, das hereinkommt, einstreichen, wenn sie nicht damit beschäftigt sind, gegeneinander zu konspirieren und Großunternehmen zu bestechen.
    – Und? sagte Martine.
    Er seufzte.
    – Mit einer schnellen Lösung des Dreifachmordes hätten sich die Schreibereien schnell gelegt. Gestern sah es gut aus, eine schnelle Festnahme, der Täter ein junger Mann, geschädigt von traumatischen Kriegserlebenissen, so was kann man verstehen. Aber nein, Sie müssen die Sache verkomplizieren. Und worauf sind Sie jetzt aus? Listen von Journalisten? Was, glauben Sie, bringt uns das für eine Publicity?
    Er drückte böse seine halb gerauchte Zigarette im Aschenbecher aus und glotzte Martine rotäugig an. Thomas sagte oft, daß Santinis versöhnender Zug war, daß er wirklich für Villette brannte, daß er die Entwicklung stoppen und der Stadt eine Zukunft geben wollte. Jetzt sah er sich hier zwischen den Mord- und Krisenschlagzeilen der Zeitungen als einen Mann, der hatte sehen müssen, daß sein großes Projekt in Trümmer gelegt wurde, ohne daß er etwas dagegen hätte tun können. Fast hätte er Martine leid getan, aber dann fiel ihr ein, daß vermutlich er hinter

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