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Die toten Mädchen von Villette

Die toten Mädchen von Villette

Titel: Die toten Mädchen von Villette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Hedström
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den Fernsehjungs, sagte Christian, aber der wirkliche Bingogewinn wäre natürlich, wenn jemand von denen hier 1982 dabei war. Kümmerst du dich darum, Martine? Vielleicht sind formelle Beschlüsse nötig, damit sie ihre Listen herausrücken.
    Martine nickte düster. Christian hatte recht, aber ein Fight war das letzte, was sie jetzt brauchen konnte. Sie hatte etwas anderes im Sinn, das sie sich gefragt hatte.
    – Der Mageninhalt, sagte sie, wir wissen, daß die Mädchen direkt bevor sie starben zu Gänseleber und Champagner und Erdbeeren eingeladen wurden, aber wo hat er dasherbekommen? Ich meine, wenn er nicht ständig mit einem kleinen Mordkit herumreist, das er herausnehmen kann, wenn er auf ein geeignetes Opfer trifft, muß er es irgendwo kaufen. Vielleicht ist es schwer, den Erdbeeren auf die Spur zu kommen, aber was haltet ihr von der Gänseleber? Die wird doch nicht überall verkauft?
    – In Brüssel oder Antwerpen würde ich zu Demeesters Delikatessen gehen, sagte Annick, aber die haben ja hier keine Filiale.
    – In den großen Einkaufszentren gibt es natürlich Gänseleber, sagte Christian nachdenklich, aber die liegen an den Stadträndern, und wir gehen hier wohl von der schnellen Tour aus. Er sieht das Mädchen, spricht mit ihr, entschließt sich, und dann muß er seine kleine Ausrüstung besorgen. Das spricht dafür, daß er etwas im Zentrum finden muß.
    Annick und Martine kamen gleichzeitig darauf und riefen im Chor aus:
    – Die Markthalle! – Er hat sie gesehen, sagte Annick eifrig, die haben sie sicher den Journalisten vorgeführt, weil sie frisch renoviert und schick ist. Aber es kann natürlich auch andere kleine Läden geben. Soll ich mich darum kümmern, die Papiere bringen jetzt wohl nichts mehr?
    – Das ist sicher eine gute Idee, stimmte Christian zu und stand auf. Er und Annick verschwanden durch die Tür.

    – Entschuldigen Sie, Mademoiselle, Sie heißen nicht möglicherweise Poirot?
    Tatia sah von ihrem Skizzenblock auf, über den gebeugt sie dagesessen hatte. Sie war glücklich. Es war wunderbar, die Ideen fließen zu lassen, ohne gestört zu werden, die eigenen Einfälle in raschen Skizzen auszuprobieren, ohne daßjemand fragte, was sie gerade mache und was es darstellen solle. Sie wußte, daß Martine und Thomas bekümmert darüber waren, daß sie am Tag allein war, und Bernadette würde Zustände bekommen, wenn sie ihre Tochter ohne Gesellschaft auf den Straßen von Villette herumspazieren oder mit ihrem Buch und ihrem Skizzenblock allein an Cafétischen sitzen sähe. Bernadette meinte, daß sie mehr Umgang mit Gleichaltrigen haben sollte, aber Tatia verabscheute Gleichaltrige allgemein. Die meisten von ihnen waren Idioten. In der Schule hatte sie zwei Freunde, Joris und Chana, die ebenso wie Tatia selbst als merkwürdig galten. Sie haßte die Schule. Aber sie mußte nur noch ein paar Jahre aushalten, dann konnte sie an der Modeakademie in Antwerpen anfangen.
    Der junge Mann, der sie angesprochen hatte, stand mit der Sonne im Rücken am Cafétisch, so daß sein Schatten auf den Skizzenblock fiel. Tatia sah neugierig zu ihm auf. Er sah schön und exotisch aus, mit dicken, goldbraunen Haaren und einem fein gezeichneten Mund in einem ziemlich breiten Gesicht. Seine hochgeschlossene braune Jacke hatte dieselbe Farbe wie seine Augen. Er wirkte ungefährlich, und das Café an der Grande Place war sowieso voller Leute.
    Tatia lächelte ihn an.
    – Ja, ich heiße Poirot. Und mit wem habe ich die Ehre zu sprechen, Sherlock Holmes?
    Er lächelte zurück und ließ sich ungebeten an ihrem Tisch nieder.
    – Nicht direkt, ich heiße Giovanni, Mademo…
    – Ich heiße Tatia, sagte sie, keine Mademoisellen, bitte. Aber woher wußtest du, wie ich mit Nachnamen heiße?
    – Du bist die Tochter von Philippe Poirot, stimmt’s, sagteer, ich habe sofort die Ähnlichkeit gesehen. Aber ich hatte keine Ahnung davon, daß er eine Tochter hat, erst als er es gestern zufällig erwähnt hat, du kannst dir vorstellen, wie ich mich gewundert habe!
    Seine Gesten und seine Art, die Worte zu betonen, hatten etwas, das Tatia an ihren Vater erinnerte, wenn er ausnahmsweise einmal vergaß, die Vatermiene mit dazugehöriger Attitüde aufzusetzen. Sie entschloß sich, Giovanni nicht zu fragen, woher er Philippe kannte.
    – Mir gefällt deine Jacke, sagte sie statt dessen. Hast du sie selbst genäht?
    – Leider, sagte er, ist es mir nie gelungen, nähen zu lernen. Aber ich habe sie bei einem Typen bestellt, der

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