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Die Toten schweigen nicht: Thriller (German Edition)

Die Toten schweigen nicht: Thriller (German Edition)

Titel: Die Toten schweigen nicht: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Cleave
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oder matschige Fußabdrücke zu sehen. Hat sich der Mörder von Vater Julian gestern Nacht auf dieselbe Weise Zugang zur Kirche verschafft wie ich? Kam er durch eine Seitentür? Oder hat ihn der Priester durch die Vordertür hereingelassen? Ist er nachts aufgetaucht, oder war er den ganzen Tag über hier?
    Kannten sie sich?
    Ich deponiere Jacke und Schuhe hinter der ersten Bankreihe und gehe in Vater Julians Büro. Hier herrscht ein heilloses Durcheinander; Bücher, Unterlagen und aller möglicher Krimskrams sind über das ganze Zimmer verstreut – allerdings nicht infolge eines Kampfes, sondern so, als hätte Vater Julian in aller Eile etwas gesucht. Oder die Polizei. Das fehlt mir am meisten, seit ich nicht mehr bei der Polizei bin: die Möglichkeit, den Tatort in seinem ursprünglichen Zustand zu sehen. Hier gibt es noch mehr gelbe Täfelchen mit schwarzen Nummern. Außerdem Fingerabdruckpulver, kleine Plastikbeutel, Plastikampullen und Wattetupfer. Offensichtlich gehen sie davon aus, dass sich die Haushälterin darum kümmert.
    Ich rolle Vater Julians Stuhl vom Schreibtisch fort und setze mich hinein, dann lege ich meine gespreizten Hände auf die Platte. Da ich Latexhandschuhe trage, kann ich die Maserung des Holzes nicht spüren, aber der Tisch fühlt sich massiv und kalt an, so als würde er eine Ewigkeit halten. Plötzlich fällt mir ein Erlebnis mit meiner Familie ein. Ich bin mit Bridget und Emily am Strand. Wir bauen eine Sandburg; meine Tochter strahlt über das ganze sommersprossige Gesicht, und unter ihrer Elmo-Kappe ragt das blonde Haar hervor. Die Flut rückt immer näher, schließlich erreicht das Wasser den Graben, den wir ausgehoben haben, und es bleiben nur noch wenige Minuten, bis die Wände der Burg ins Meer stürzen.
    »Ist schon okay, Daddy«, sagt meine Tochter und hört auf zu graben, weil ihr klar ist, wie sinnlos ihre Rettungsaktion ist. »Wir können jedes Wochenende wieder herkommen. Es gibt immer einen Tag, an dem wir eine neue bauen können.«
    Ich nehme meine Hände vom Tisch, und die Erinnerung verschwindet wieder. Ich versuche nicht, sie festzuhalten.
    Stattdessen öffne ich eine Schreibtischschublade nach der anderen, doch sie sind alle leer. Ich ziehe sie vollständig heraus und sehe auf der Rückseite nach – ebenfalls nichts. Dann schiebe ich sie wieder zurück und fange an, die Bücher auf Vater Julians Tisch durchzublättern, in der Hoffnung, dass vielleicht etwas zwischen den Seiten herausfällt. Vergeblich. Offensichtlich hat das bereits jemand vor mir getan. Ein Blick unter den Tisch fördert ebenfalls nichts zutage.
    Ohne zu wissen, wonach ich eigentlich suche, schlendere ich durchs Zimmer. Ich schlage die Bibeln auf, die Bücher, Romane und Ratgeber, und blättere sie durch, ohne etwas zu finden. Es sieht immer weniger danach aus, als wäre Vater Julian für dieses Chaos verantwortlich. Der Vater Julian, den ich kannte, hätte sein Büro nie in so einem Zustand zurückgelassen. In den Gipswänden klaffen Löcher, offensichtlich von Fäusten. Weiter unten gibt es noch mehr Löcher und Abdrücke von Fußtritten, anscheinend von jemandem, der immer frustrierter wurde. Durch die Löcher weht ein kalter Luftzug. Die Bücher wurden aus den Regalen gezerrt und auf mehrere Haufen geworfen. Einige der Seiten und Umschläge wurden abgerissen. Wer auch immer das getan hat – hat er gefunden, wonach er suchte?
    Ich verlasse das Büro und wandere weiter durchs Pfarrhaus. Der Lichtstrahl meiner Taschenlampe wird schwächer, und ich fürchte, wenn sie ganz ausgeht, werden die Dämonen um mich herum nach mir greifen. Jesus blickt auf mich herab und richtet wahrscheinlich gerade über mich, während er sich fragt, was zum Teufel ein Kerl wie ich hier zu suchen hat. Na ja, Jesus, ich versuche Buße zu tun. Versuche Reue zu zeigen. Und das willst du doch, oder?
    Ich richte die Taschenlampe auf den Boden, dorthin, wo vor zwei Nächten der tote Priester lag, während ich draußen stand und Angst hatte, dass man mich schnappt. Ich hocke mich direkt neben den Kreideumriss. Dort, wo der Kopf lag, ist der Teppich fast schwarz von getrocknetem Blut. Ich schließe die Augen und denke an die Fotos, die Schroder und Landry mir gezeigt haben. Vater Julian lag auf dem Rücken, den Kopf zur Seite gedreht. Auf einigen Großaufnahmen waren mehrere klaffende Wunden am Hinterkopf zu erkennen. Von den Hammerschlägen. Keine Ahnung, wie oft man auf ihn eingeprügelt hat, jedenfalls mehr als einmal.

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