Die Toten schweigen nicht: Thriller (German Edition)
wieder ab. Mit schnellen Schritten hastet er an mir vorbei. Ich krabble auf das nächste Grab zu, dann zum übernächsten, und verharre ein paar Sekunden in meinem Versteck. Ein Blick über die Schulter zeigt mir, dass die Beamten jetzt zwanzig Meter von mir entfernt sind. Also rappele ich mich auf und laufe gebückt weiter in den Friedhof hinein. Meine Füße versinken ein wenig im Gras. Als ein weiterer Wagen den Weg entlangfährt, muss ich erneut in Deckung gehen. In der eisigen Kälte kriege ich kaum noch Luft; als ich mehrmals tief einatme, spüre ich ein Brennen, und mir wird schwindelig. Ich verstecke mich hinter einem hohen Grabstein und blicke in die Richtung, aus der ich gekommen bin. Nicht weit weg, zwischen Bäumen und Gräbern, wandern mehrere Taschenlampen hin und her. Ich habe keine Ahnung, in welche Richtung ich mich wenden soll.
Ich bleibe in Bodennähe und arbeite mich weiter vor, bis noch mehr Gras, Gräber und Meter zwischen mir und den Taschenlampen liegen. Kurz darauf treffen weitere Streifenwagen ein – ich kann ihre Scheinwerfer sehen und hören, wie die Türen zugeschlagen werden. Schließlich erreiche ich die nächste Baumgruppe und lege eine Verschnaufpause von einer halben Minute ein. Meine Füße tun weh und bluten wahrscheinlich, doch ich schaue lieber nicht nach. Ich werfe einen Blick zurück, dorthin, wo ich die Kirche vermute. Für einen Moment habe ich panische Angst, dass meine Brieftasche und die Schlüssel noch in der Jacke sein könnten, die ich dort liegen gelassen habe, und klopfe schnell meine Hosen ab. Meine Schlüssel sind in der Hosentasche, und meine Brieftasche – jetzt fällt es mir wieder ein – liegt zu Hause. Ich laufe wieder ein Stück weiter. Als ich merke, dass noch mehr Autos eintreffen, kauere ich mich erneut für ein paar Sekunden hinter einen Grabstein. Dort, wo sich alle versammeln, muss die Kirche sein. Es ist keine einzige Sirene zu hören, doch zwischen den Bäumen blinken jede Menge roter und blauer Lichter. Ich renne weiter. Immer weiter. Und muss daran denken, dass Schroder meinte, ich hätte Gewicht zugelegt; jetzt spüre ich, wie mich jedes Kilo langsamer macht. Die Umrisse der Landschaft verändern sich. Es geht rauf und runter, und wieder rauf, schließlich erreiche ich ein paar flache Hügel, die mir steiler vorkommen, als sie in Wirklichkeit sind; sie versperren mir die Sicht auf das, was hinter mir liegt. Ich bin jetzt in einem anderen Bereich des Friedhofs und habe immer noch keine Ahnung, wo ich mich befinde. Ich kämpfe mich weiter voran, um mich herum die Nacht, unter mir die Toten. Dabei sehe ich mich immer wieder um. Hinter mir sind jetzt keine Lichter mehr. Und auch keine Streifenwagen. Zumindest nicht in Sichtweite. Vor mir noch mehr Bäume und eine weitere Fläche mit Gräbern. Ich passiere einen Bereich mit Sträuchern und Gras, dann stehe ich plötzlich vor einer Umzäunung. Ich will daran hochklettern, doch ich kann nicht, nicht sofort, nicht die nächsten paar Sekunden, erst wenn mein Puls sich etwas beruhigt hat und mein Körper sich sicher ist, dass er weitermachen kann.
Der Zaun grenzt an die Rückseite eines alten Holzhauses; zwischen Haus und Garage ist eine riesige Lücke. Ich lasse mich in den Hinterhof fallen und renne auf die Lücke zu. Es gibt keinen weiteren Zaun. Als ich die Straße erreiche, schaue ich nach rechts, dann nach links. Jetzt weiß ich, wo ich bin. Ein paar Meter von mir entfernt befindet sich eine Bushaltestelle. Ich gehe darauf zu, finde dann aber, dass das eine schlechte Stelle zum Warten ist. Also überquere ich die Straße, setze mich hinter eine Hecke und atme ein paarmal tief durch.
Dann mache ich mich auf den Weg zu meinem Wagen. Zehn Minuten später gehe ich die Straße hinunter, die am Friedhof vorbeiführt. Vor mir, in der Ferne, sehe ich Lichter und Bewegung; mein Wagen parkt allerdings gut zwei Blocks davor. Nachdem ich ihn aufgeschlossen habe, krieche ich auf den Fahrersitz und trete den Matsch, die Blätter und das Blut im Fußbereich ab. Den Umschlag mit den Fotos lege ich auf den Beifahrersitz. Er ist leicht geknickt und an zwei Ecken feucht geworden. Ich starte den Motor und rolle mit ausgeschalteten Scheinwerfern um die erste Ecke. Mir fällt die Schaufel im Kofferraum ein, doch ich schätze, heute Nacht wäre sowieso nicht der ideale Zeitpunkt gewesen, um das Grab auszuheben. Außerdem ist es ein beunruhigender Gedanke, Dad den Wagen zurückzugeben, nachdem ich damit eine Leiche durch
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