Die Toten schweigen nicht: Thriller (German Edition)
die Gegend kutschiert habe. Das stand eigentlich nicht auf dem Programm, als ich ihn mir ausgeliehen habe.
Wieder zu Hause bin ich am Rande der Erschöpfung, auch wenn ich nicht müde bin. Ich bin völlig aufgedreht. Ohne die beruhigende Wirkung des Alkohols und ohne Schlaf werde ich wahrscheinlich gleich zusammenklappen.
Also dusche ich kurz und werfe einen Blick auf meine lädierten Füße. Die Haut ist abgeschürft, wenn auch nicht so schlimm, wie ich dachte. Dann nehme ich die Bilder aus dem feuchten Umschlag und löse sie voneinander, damit sie trocknen können. Ich sehe sie mir nicht genau an. Nicht jetzt. Ich kann nicht. Allerdings kann ich sie auch nicht offen herumliegen lassen, falls Landry oder Schroder hier aufkreuzen. Also tupfe ich sie mit einem Geschirrtuch trocken, stecke sie in einen neuen Umschlag und werfe den alten weg. Daraufhin hebe ich in einer Ecke meines Schlafzimmers den Teppich an, denn was bei Aldermans und Julian so gut funktioniert hat, wird bei mir auch funktionieren.
Zuletzt lasse ich mich aufs Bett fallen und schlafe einfach ein.
Kapitel 44
In dieser Nacht kommt niemand vorbei. Ich schätze, dass für die Polizei drei Personen in Frage kommen, die letzte Nacht in der Kirche gewesen sein könnten – ich, der Mörder oder ein Reporter. Bestimmt haben sie meine Jacke und meine Schuhe gefunden, doch selbst wenn sie sie wiedererkennen, deutet bis auf die DNS nichts Handfestes darauf hin, dass sie mir gehören. Und es dauert immerhin acht Wochen, bis die Ergebnisse der Tests eintreffen. Landry und Schroder denken bestimmt daran, mich zu verhören, und fragen sich, ob es irgendeinen Trick gibt, mit dem sie mir das Geständnis entlocken können, dass ich in der Kirche war. Ich muss allerdings nur behaupten, dass dieselbe Person, die die Mordwaffe in meiner Garage deponiert hat, das auch mit meiner Kleidung getan hat, um so den Rufmord perfekt zu machen. Dasselbe werde ich sagen, wenn sie in acht Wochen die DNS von den Haarfollikeln an meiner Jacke bekommen.
Natürlich spielt das alles keine Rolle, wenn ich es nicht schaffe, zum Friedhof zurückzufahren und Alderman vor Montag auszugraben.
Der Regen hat inzwischen aufgehört, momentan ist der Himmel nur leicht bewölkt. Ich öffne die Vorhänge und werfe meine klatschnassen Klamotten in die Waschmaschine. Es scheint zur Gewohnheit zu werden, mich nachts ordentlich einzusauen. Dann mache ich mir Kaffee und frage mich, an welchem Punkt der menschlichen Evolution dieses Getränk zu einem derart wichtigen Bestandteil des Lebens wurde. Egal was in Zukunft auch passiert, Kaffee wird von allen Dingen auf dieser Welt bestimmt sehr viel länger existieren als irgendeine Religion. Ich hole die Fotos und sehe sie in meinem Büro erneut durch; noch immer erkenne ich von den verschiedenen Jungen und Mädchen lediglich Bruce wieder. Dann drehe ich sie um. Auf der Rückseite von jedem stehen Name und Datum. Allerdings nur der Vorname. Das älteste Datum reicht vierundzwanzig Jahre zurück. Als ich die Bilder durchblättere und die Namen der letzten Monate an mir vorüberziehen, fügt sich plötzlich alles zusammen.
Ich lasse die Fotos sinken. Stehe auf und fange an, im Büro auf und ab zu gehen, während mein Atem immer hektischer wird. Ich werde von einer Erregung erfasst, wie ich sie lange nicht mehr empfunden habe, nicht mehr seit ich in meinem früheren Leben für das Morddezernat tätig war, jene Erregung, wenn man spürt, dass sich alles zusammenfügt, und weiß, dass man sich der Zielgeraden nähert.
Auf den Bildern sind fünf Mädchen zu sehen. Vier von ihnen tragen dieselben Namen wie die toten Mädchen, die wir gefunden haben. Ich habe keine Ahnung, wo das fünfte Mädchen steckt, doch ich habe einen Vornamen. Deborah. Außerdem sind drei Jungs abgelichtet: Bruce, Simon und Jeremy. Wer Simon und Jeremy sind, weiß ich ebenfalls nicht.
Ich nehme mir erneut Rachels Foto vor und drehe es um. Dabei fallen mir die anderen Fotos von ihr ein, die ich im Haus ihrer Eltern gesehen habe. Und plötzlich bin ich wieder in Vater Julians Büro. Bruce war wie ein Sohn für mich , sagt er zu mir. Wie ein Sohn. Waren all diese Menschen wie Söhne und Töchter für Vater Julian? Ich glaube schon. Mir fällt ein, wie ich vor einem Monat die Bilder der vermissten Mädchen betrachtet habe und dachte, wie sehr sie sich ähneln und dass ihr Mörder auf einen bestimmten Typ festgelegt war. Ich hatte recht, und auch wieder nicht. Sein bevorzugter Typ hatte
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