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Die Toten schweigen nicht: Thriller (German Edition)

Die Toten schweigen nicht: Thriller (German Edition)

Titel: Die Toten schweigen nicht: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Cleave
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nichts damit zu tun, ihm ging es weder um ihre Figur noch um ihr Alter. Sondern darum, wer diese Menschen waren. Er hatte es auf sie abgesehen, weil sie alle miteinander verwandt waren.

Kapitel 45
     
    Das Haus wirkt etwas ordentlicher als bei meinem letzten Besuch. Wahrscheinlich führen sie jetzt kein Leben in der Warteschleife mehr. Die befürchtete Nachricht ist eingetroffen, und auch wenn sie damit hadern, fangen sie an, den Blick nach vorne zu richten.
    »Ich weiß nicht, ob ich Ihnen danken oder ob ich Sie hassen soll«, sagt Patricia Tyler, und ihre Gefühle spiegeln sich in ihrem Gesicht wider.
    »Kann ich reinkommen? Bitte, es ist wichtig.«
    »Ich weiß nicht. Ehrlich gesagt weiß ich kaum noch, was ich überhaupt denken soll.«
    Ich ziehe das Foto aus Vater Julians Sammlung hervor. Die übrigen befinden sich noch im Umschlag, der in meiner Jackentasche steckt. Ich reiche es ihr. Und merke sofort, dass sie es wiedererkennt. Ihre Fingerknöchel werden ganz weiß, als sie es umklammert.
    »Wo haben Sie das her?«, fragt sie, obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass sie es bereits weiß.
    »Bitte, kann ich reinkommen?«
    Sie macht einen Schritt zurück, damit ich eintreten kann, und führt mich den Flur hinunter.
    »Michael ist nicht da«, sagt sie und hält inne. »Glücklicherweise.«
    An der Wand hängen immer noch dieselben Fotos wie bei meinem letzten Besuch, doch ich sehe sie jetzt mit etwas anderen Augen. Michael Tyler, der Rachels Hand hält, als sie etwa fünf Jahre alt ist, taucht auf keinem der früheren Fotos auf.
    Wir setzen uns ins Wohnzimmer. Als Patricia mich fragt, ob ich was trinken will, bitte ich sie um ein Glas Wasser. Sie steht auf und kommt eine Minute später mit zwei Gläsern zurück. Vorsichtig setzt sie die Gläser auf Untersetzern ab, und ich stelle ihr die Frage, wegen der ich hier bin.
    »Sie haben recht«, sagt sie. »Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor. Rachel war vier, als ich Michael kennengelernt habe, und sechs, als wir geheiratet haben. Das war wie ein Neubeginn für mich. Ich konnte damals nur hoffen, dass Michael sie eines Tages als sein eigenes Kind betrachtet.« Sie nimmt einen Schluck Wasser. »Und das hat er auch. Er hat sie geliebt, und die letzten Jahre – nun, sie haben ihm genauso zugesetzt wie mir.«
    »Und Vater Julian ist Rachels biologischer Vater«, sage ich. Es ist keine Frage.
    »Das war vor über zwanzig Jahren, und Sie sind der Erste, der mich überhaupt nach ihm fragt.« Erneut betrachtet sie das Foto. »Ich kann mich noch genau an diesen Moment erinnern«, sagt sie. »Das war an Rachels zweitem Geburtstag. Ich habe früher Feierabend gemacht. Während ich auf der Arbeit war, hat meine Mutter sich um Rachel gekümmert. Sie hatte einen Kuchen gebacken, und wir haben zusammen gefeiert, auch wenn Rachel noch gar nicht verstanden hat, worum es überhaupt ging.«
    Ich kann mich an eine ähnliche Feier für meine Tochter erinnern. Vor lauter Begeisterung hatte ich viel zu viele Geschenke gekauft. Aufgeregt riss Emily sie auf, doch ihre Aufmerksamkeit wanderte von ihrem neuen Spielzeug zu dem Geschenkpapier, in das es eingepackt war, und dann rannte sie wie im Zuckerrausch durchs Zimmer, während unsere Freunde und die Familie ihr dabei zusahen und lachten und mit ihr spielten. Danach hatte sie noch fünfmal Geburtstag. Rachel Tyler siebzehnmal.
    »Dieses Bild«, sagt sie und dreht es für einen Sekundenbruchteil in meine Richtung, »wurde am Ende des Tages aufgenommen.« Rachel hockt, den Kopf auf den Knien, in der Ecke eines Zimmers, die Arme um die Beine geschlungen und die Augen halb geöffnet – oder halb geschlossen. »Ich wollte gerade mit ihr nach Hause fahren, doch sie hatte keine Lust. Sie wollte lieber bei meiner Mutter übernachten, weil sie glaubte, dass sie am nächsten Tag noch mehr Geschenke bekommt.«
    Sie hält inne, und ich habe das Gefühl, dass sie in Gedanken eine verpasste Möglichkeit durchspielt. Sie fragt sich, ob Rachel noch am Leben wäre, wenn sie ihre Tochter an jenem Tag vor fast zwanzig Jahren bei ihrer Mutter gelassen hätte.
    »Ich weiß nicht mal, warum ich das Foto überhaupt gemacht habe«, sagt sie. »Ich meine, ich kann mich zwar an den Moment erinnern, und wie ich sie aufgefordert habe zu lächeln, aber ich habe wirklich keine Ahnung, warum ich es gemacht habe. Ich hatte an diesem Tag schon eine ganze Menge Bilder gemacht. Ich habe es Vater Julian geschickt. Er hatte mich um eines gebeten. Also geht es bei der ganzen

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