Die Toten schweigen nicht: Thriller (German Edition)
variieren ein wenig, doch das sind nur Variationen des immergleichen Themas – das schnell langweilig wird und zu unterstellen scheint, dass ich bis zu einem gewissen Grad für das hier mitverantwortlich bin. Doch das stimmt nicht. Ich habe den Friedhofswärter weder gezwungen, in meinen Wagen zu steigen, noch Knochensplitter und Hirnmasse über meine Möbel zu verteilen.
Schließlich fordert man mich auf, nach Hause zu gehen. Darüber bin ich nicht wirklich froh, allerdings weiß ich auch nicht, was die Alternative wäre. Dazubleiben und zuzusehen vermutlich, obwohl es nicht viel zu sehen gibt. Bloß einen Haufen Leute, die jene Art mühsamer Arbeit erledigen, für die jemand wie ich keine Geduld aufbringt. Wäre jetzt Tag, würde sich hier eine Horde Schaulustiger gegenseitig auf die Füße treten, um einen flüchtigen Blick auf die Leiche zu erhaschen, doch das habe ich bereits getan, mehr noch – ich habe ihr etwas abgenommen.
»Eins noch«, ruft Landry, als ich Richtung Treppenhaus gehe.
Ich drehe mich um, die Hand auf der Klinke der Treppenhaustür. Landry ist nicht gerade mein größter Fan. Es gab Zeiten, da waren wir uns ziemlich ähnlich, aber für ihn wurde die Arbeit zu seinem einzigen Lebensinhalt, während ich alles versucht habe, um die Dinge im Gleichgewicht zu halten. Er ist im selben Alter wie ich, aber die Jahre seit unserem letzten Treffen haben es nicht besonders gut mit ihm gemeint. Er wirkt ziemlich fertig. Und er stinkt nach Zigarettenqualm und Kaffee.
»Was hast du mitgenommen?«
»Was?«
»Vom Tisch. Abgesehen von drei Stellen ist alles voller feiner Blutspritzer. Zwei stammen von deinen Händen. Das ist gut, so wissen wir, wo du warst, als er abgedrückt hat. Aber da ist noch ein sehr viel kleinerer Fleck.«
»Meine Schlüssel.«
»Sieht nicht nach Schlüsseln aus.«
»Es war so viel los. Keine Ahnung. Vielleicht war es auch mein Handy.«
»Sieht auch nicht nach einem Handy aus. Wenn ich dich durchsuche, dann finde ich doch hoffentlich nichts?«
»Worauf willst du hinaus, Landry?«
»Auf gar nichts. Ich frage mich nur, was so wichtig ist, dass du es von einem Tatort mitgehen lässt.«
»Ich lasse nichts mitgehen, und überhaupt, das hier ist mein Büro. Das ist alles mein Eigentum.«
»Nicht alles«, sagt er und wirft einen Blick über die Schulter in mein Büro, aus dem sie gerade den dunklen Leinensack mit Bruce Aldermans Leiche tragen.
Als ich kurz darauf das Gebäude verlasse, hat es erneut angefangen zu nieseln. Es ist fast zwei Uhr in der Früh. Im Innern meines Wagens ist es immer noch feucht, aber wenigstens sitzt niemand mit einer Waffe in der Hand auf der Rückbank. Ich lege eine der Decken aus dem Krankenwagen auf meinen Sitz, um ihn vor dem Blut an meiner Kleidung zu schützen, dann mache ich mich auf den Nachhauseweg. Nutten und Obdachlose starren mich an, als ich an ihnen vorbeifahre. Ich könnte ihre Rettung sein, ihre nächste Mahlzeit, ihr nächster Drink, das große Los.
Mein Haus ist nichts Besonderes, nur eins von vielen, das in einem Vorort über Nacht hochgezogen wurde. Die Leute wohnen und leben hier, produzieren kleine Menschen und zahlen hohe Hypotheken, und wenn sie sich an die Regeln halten, stößt ihnen vielleicht, vielleicht, nichts Schlimmes zu. Das Problem ist nur, dass heute Nacht ein Kleintransporter vor meinem Haus steht und den Eingang blockiert; ich kann also nicht einfach in die Garage fahren, ins Haus gehen, ihn ignorieren. Ich parke hinter dem Wagen und steige aus, viel zu müde, um mich zu streiten. Da öffnen sich die Türen des Transporters. Ein Scheinwerfer erstrahlt, und ein Mann mit Kamera auf der Schulter fängt an, mich von rechts zu umkreisen, während zu meiner Linken eine Frau mit schulterlangem Haar auftaucht. Im grellen Licht sieht man erst recht, wie stark sie geschminkt ist.
»Kein Kommentar«, sage ich, bevor der Kameramann eine geeignete Position einnehmen und die Reporterin mir das Mikrofon unter die Nase halten kann.
»Casey Horwell«, sagt sie, »TVNZ-Nachrichten, nur ein paar kurze Fragen.«
»Kein Kommentar«, wiederhole ich, »und können Sie Ihren Wagen wegfahren? Sie blockieren meine Einfahrt.«
»Ich habe gehört, dass Bruce Alderman, der Verdächtige bei den Friedhofsmorden, heute Abend in Ihrem Büro umgebracht wurde.«
Ich frage mich, wie lange sie gebraucht haben, um sich einen Namen für den Fall zu überlegen – Friedhofsmorde? – und ob morgen jemand mit einem besseren aufwartet. Casey Horwell
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