Die Toten schweigen nicht: Thriller (German Edition)
hält mir das Mikrofon noch dichter unter die Nase. Ich kenne sie aus den Nachrichten. Vor einem Jahr geriet ihre Karriere mächtig ins Schleudern, als sie, unter zusätzlicher Verzerrung der Tatsachen, interne Informationen veröffentlichte, die sie nie hätte preisgeben dürfen, und schließlich die Ermittlungen der Polizei gefährdete. Was wiederum dazu führte, dass im Gerichtshof der öffentlichen Meinung ein Unschuldiger für schuldig befunden wurde, ein kleines Kind vergewaltigt zu haben. In der Nacht, als der Beitrag ausgestrahlt wurde, wurde das Haus des Mannes mit ihm darin niedergebrannt. Er überlebte mit Verbrennungen dritten Grades, seine Freundin starb. Ich schätze, heute Nacht will Horwell ihre Karriere fortsetzen.
»Kein Kommentar«, sage ich.
»Das wird Ihnen nicht weiterhelfen«, sagt sie.
»Sie müssen Ihren Wagen wegfahren.«
»Können Sie uns erklären, was Sie mit der Sache heute zu tun haben?«
»Nein.«
»Sie arbeiten nicht mehr bei der Polizei. Warum waren Sie trotzdem auf dem Friedhof?«
»Kein Kommentar.«
»Bruce Alderman wurde vor vier Stunden umgebracht, und trotzdem tauchen Sie hier auf, vor Ihrem Haus. Wie kommt das?«
Ich bin kurz davor, ihr zu sagen, dass er nicht getötet wurde , sondern sich selbst umgebracht hat, und dass das ein Unterschied ist, ein sehr großer Unterschied.
»Wie kann es sein, dass man Sie nach wie vor mit Fällen betraut?«, fragt sie. »Erst recht mit so einem. Ich hatte den Eindruck, dass jeder bei der Polizei Sie hasst.«
»Ich habe immer noch ein paar Freunde bei der Polizei«, sage ich. »Sie versuchen mir zu helfen, so gut es geht.«
Sie lächelt, und ich bin mir nicht sicher, warum. »Wollen Sie sonst noch was sagen?«
»Nein.«
»Ich kann mir vorstellen, dass Sie einen langen Tag hatten.«
»Oh ja.«
»Wir hatten alle einen langen Tag. Sie müssen ganz schön erledigt sein.«
»Können Sie jetzt Ihren Wagen wegfahren?«
»Natürlich. Danke für Ihre Zeit, Detec… ich meine, Mr. Tate.«
Das Licht an der Kamera erlischt. Doch Casey Horwell starrt mich einen weiteren Moment lang an, immer noch dasselbe Lächeln im Gesicht, dann wendet sie sich ab und klettert in den Transporter. Kurz darauf rauscht er davon. Ich steige wieder in meinen Wagen und parke ihn in der Auffahrt, zu müde, um ihn in die Garage zu bringen.
Mein Haus hat drei Schlafzimmer, doch nur eins davon wird benutzt. Das Schlafzimmer meiner Tochter ist immer noch so eingerichtet, als würde sie eines Tages wieder nach Hause kommen; ich bin mir nicht ganz sicher, wie gesund das ist, und ob ich das überhaupt wissen will. Wenn meine Frau noch hier wäre, hätte sie vielleicht beschlossen, das zu ändern, aber sie ist nun mal nicht hier. Es ist genau wie bei Patricia Tyler, die für ihre Tochter ein Zimmer freihält. Momentaufnahmen. Darum scheint es im Leben zu gehen.
Ich lege eine CD ein, schnappe mir ein Bier und gehe nach draußen auf die Veranda; im Vorbeigehen starte ich meinen Anrufbeantworter. Meine Mutter hat draufgesprochen. Sie will wissen, wie mein übriger Tag verlief und was passiert ist. Ich versuche daran zu denken, sie morgen anzurufen.
Die Nacht hat sich ein wenig aufgewärmt, und ich setze mich auf den Liegestuhl, in den Sprühregen, starre in den Nachthimmel und lausche der Musik, während das Bier meine Nerven beruhigt. Früher, wenn Emily schon im Bett war, habe ich hier draußen manchmal mit Bridget gesessen. Bei Kälte ist man windgeschützt, und wenn es warm ist, weht der Wind von der anderen Seite auf die Veranda. Wir haben über unseren Tag gesprochen, während ich an meinem Bier und sie an ihrem Wein nippte. Ich hatte immer das Gefühl, als könnte ich ihr alles erzählen, allerdings gab es Fälle, die konnte ich nicht mit nach Hause bringen. Obwohl sie mir nicht mehr aus dem Kopf gingen, wollte ich sie nicht damit belasten. Sie waren ein Teil meines Lebens, und ich wollte nicht, dass sie sich auch noch in ihr Leben drängten. Wir redeten über unsere Vergangenheit und über unsere Zukunft; wir hatten die Idee, uns ein größeres Haus zu nehmen, und wir sprachen darüber, noch mehr Kinder zu haben. Wir hockten hier draußen und lachten, schmiedeten Pläne und diskutierten miteinander.
Der Regen zieht weiter, und der Himmel klart ein wenig auf; in der Wolkendecke tut sich ein Loch auf, und für einen Moment kommt der Halbmond hervor; sein fahles Licht ist so hell, dass ich auf meiner Uhr beobachten kann, wie die Nacht langsam verstreicht.
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