Die Toten schweigen nicht: Thriller (German Edition)
richtigen Worte finden, doch dann wird sein Gesicht plötzlich ganz ruhig, er wirkt jetzt vollkommen klar, und ich weiß, dass es die Klarheit eines Mannes ist, dessen Entschluss feststeht, und ich nichts sagen oder tun kann, um ihn von seinem nächsten Schritt abzuhalten.
»Würde«, sagt er. »Sie haben eine würdevolle Behandlung verdient.«
Dann dröhnt der Schuss in meinen Ohren. Es riecht nach Schießpulver und verbranntem Fleisch, noch lange nachdem sich der rosafarbene Schleier wieder gelegt und Knochensplitter und Hirnmasse sich in die Decke über ihm gebohrt haben.
Kapitel 12
Das ist einer jener Augenblicke, die man nicht mehr vergisst. Eine jener Momentaufnahmen, die einen nie wieder loslassen und nie zu verblassen scheinen. Im Gegenteil – die Farben, die Bilder, die Details werden immer deutlicher; im Laufe der Jahre wird der Moment immer intensiver, während andere allmählich verschwinden. Und dieser Geruch – von verschmortem Fleisch, das kupferartige Aroma von Blut, das Schießpulver, der Gestank, als sein Darm sich entleert, der Schweiß. Die Luft ist dermaßen heiß, dass mein Mund ganz trocken ist und meine Zunge am Gaumen klebt. Ich höre nichts als ein Klingeln, so eindringlich, als würde es nie wieder nachlassen, sondern nur noch immer stärker werden.
Ich sitze regungslos da, starre geradeaus, nehme alles in mich auf. Ich weiß nicht, ob sonst noch jemand im Gebäude ist. Ob jemand die Polizei verständigt hat. An der Decke haben sich mehrere dicke Blutflecken gebildet. Sie scheinen, der Schwerkraft trotzend, reglos dort oben zu verharren. Bruce Aldermans Körper scheint ebenfalls zu verharren, die Hand immer noch an der Pistole, die Pistole immer noch gegen den Hals gedrückt. Die Vorderseite seines Hemds ist sauber geblieben, hat keinen einzigen Blutspritzer abbekommen. Sein Haar ist völlig durcheinander, die Kugel hat einen Krater in seine Schädeldecke gerissen. Und er hockt, wie ich, einfach da, während wir einander anstarren, für mich ein zeit meines Lebens unvergesslicher Moment, für ihn der Moment des Todes. Wie auf einem Schnappschuss steht die Zeit still.
Dann geht es weiter. Die Hand mit der Pistole sinkt nach unten, landet auf seinem Oberschenkel und rutscht auf die Stuhllehne; die Waffe knallt gegen die Lehne und fällt auf den Teppich. Daraufhin kippt sein Kopf nach vorne, das Kinn auf die Brust. Die Schusswunde glotzt mir entgegen wie ein Auge. Das blutverklebte Haar fällt wieder nach vorn und bedeckt sein Gesicht. Auf seinem Hemd entstehen jetzt rote Flecken. Blut tropft von der Decke und formt dabei kleine Stalaktiten. Rieselt auf den Teppich, prasselt leise auf die Vorderseite seiner Beine, in seinen Nacken und auf seine Schädeldecke. Tropft auf meine Arme, Schultern und Hände, die immer noch, für seine toten Augen sichtbar, auf der Tischplatte liegen. Zusammengesunken hockt er da, eine tote Masse in meinem Bürostuhl, neigt sich dann allmählich vornüber, immer schneller, bis er mit der Stirn auf die Tischkante kracht; der Kopf fliegt nach oben, und er verharrt für einen Moment in dieser Position, während der Hinterkopf fast den Schultergürtel berührt und die Augen mich abermals anstarren; dann endlich geht er zu Boden, jetzt nichts weiter als ein lebloser Haufen, der vor fünf Sekunden noch ein Mensch war. Er liegt auf der Pistole, und ich sitze immer noch da und warte ab. Vielleicht kommt ja gleich jemand vorbei, der mir sagt, dass dies die Quittung dafür ist, dass ich meine Nase in fremde Ermittlungen gesteckt habe.
Nach und nach legt sich die rosafarbene Dunstwolke wieder, und der Geruch von Schießpulver verzieht sich; dafür stinkt es jetzt nach Urin und Scheiße. Das Klingeln in meinen Ohren wird allmählich schwächer und von einem hohen Schrillen abgelöst.
Ich stehe so langsam auf, als könnte er bei einer plötzlichen Bewegung die Waffe aufheben, um seinem Selbstmord noch einen Mord hinzuzufügen. Ich umrunde den Tisch und achte darauf, nicht ins Blut zu treten. Ich denke an seine letzten Worte. Sie haben eine würdevolle Behandlung verdient. Er wollte, dass ich ihn ernst nehme, und das ist ihm gelungen. Trotzdem halte ich ihn immer noch für schuldig. Sich in meinem Büro zu erschießen ist nicht der richtige Weg, um seine Unschuld zu beweisen; das beweist höchstens, dass er verrückt ist. Das hätte ich ihm gesagt, wenn ich die Möglichkeit dazu gehabt hätte.
Ich gehe neben ihm in die Hocke. Ohne ihn umzudrehen – ich berühre
Weitere Kostenlose Bücher