Die Toten schweigen nicht: Thriller (German Edition)
glauben, dass ich ihr was angetan habe? Genauso fühle ich mich jetzt, du Scheißkerl. Du hast meinen Sohn umgebracht, und das Gefühl geht nicht mehr weg. Das wird sich auch nicht ändern. Ich wollte nur, dass du weißt, wie sich das anfühlt, dass du den Verlust ermessen kannst. Allerdings nicht die Art von Verlust, den du vor zwei Jahren erlitten hast, sondern den Verlust, der einem vorsätzlich zugefügt wird, den man verspürt, wenn ein Mensch alles daransetzt, jemanden, den man liebt, zu töten. Tut weh, was? Ich war allerdings so nett, deine Frau da rauszuhalten. Sie trifft keine Schuld. Trotzdem will ich dich leiden sehen. Ich will, dass der Schmerz nicht mehr aufhört. Du hast noch ein weiteres Familienmitglied, dem es egal ist, was ich mit ihm anstelle.«
»Wovon redest du?«
»Du hast mir meinen Sohn geraubt«, sagt er. »Du bist mir noch was schuldig.«
Er legt auf.
Ich gebe der Schwester das Telefon zurück, strecke ihr völlig geistesabwesend meinen Arm entgegen. Der Empfang, die Gemälde, das Fenster zum Büro hinter ihr – alles scheint zu verschwimmen und sich aufzulösen.
»Theo?«
Obwohl ich weiß, dass Carol mich meint, schaue ich sie nicht an. Sie hat mir das Telefon aus der Hand genommen, trotzdem ist mein Arm immer noch ausgestreckt.
»Theo?«
Sie berührt mich an der Schulter, und damit erreicht sie mich. Ich starre sie an, und sie sagt irgendwas zu mir, doch statt ihr zuzuhören, wirbele ich herum, durchquere mit langen Schritten das Foyer und stoße die schwere Tür auf, als wäre sie leicht wie eine Feder.
Als ich aufs Friedhofsgelände einbiege, habe ich ein flaues Gefühl im Magen, ähnlich wie an dem Tag, als meine Tochter gestorben ist. Und es wird noch schlimmer, als ich bremse und aus dem Wagen springe.
Ich renne zu Emilys Grab, obwohl ich am Erdhügel daneben bereits erkennen kann, was mich erwartet. Hier ist alles voller Cops, aber niemand hat Alderman davon abgehalten, ihr Grab zu schänden. Und warum sollten sie? Sie waren ja auch nicht da, um ihren Tod zu verhindern. Genauso wenig wie ich. Und in diesem Fall hat es von weitem wahrscheinlich gewirkt, als würde Alderman bloß seinen Job machen. Ein Loch ausheben. Einfach zu seinem alten Leben zurückkehren, nachdem sein Sohn gestorben ist. Vorausgesetzt, dass sie ihn überhaupt bemerkt haben. Ein Blick zum See genügt, um zu begreifen, dass das gar nicht möglich ist. Ausgeschlossen.
Ich stehe am Rand des Grabs. Und mir ist klar, dass Alderman meine Frau aus zwei Gründen bedroht hat. Erstens, um mir einen Schrecken einzujagen. Zweitens, um mich vom Friedhof wegzulocken. Das heißt, dass er mich die ganze Zeit beobachtet und abgewartet hat.
Dort unten liegt der Sarg meiner Kleinen. Der Deckel ist offen, und Emily ist fort.
Kapitel 18
Sämtlicher Sauerstoff weicht aus meinem Körper. Ich starre auf den Sarg mit dem Seidenfutter und dem weichen Kissen, und alles um das Grab herum verschwindet aus meinem Blickfeld. Die Stelle, wo eigentlich meine Tochter liegen müsste, ist mit Erdklumpen übersät. Die Messinggriffe sind zerfressen, und das strahlend helle Holz ist längst verblasst, zersplittert und eingedrückt. Mein erster Impuls ist, nach unten zu klettern und mich mit Augen und Händen zu vergewissern, dass Emily nicht mehr da ist. Mein zweiter, zu schreien. Stattdessen reagiere ich wie vor zwei Jahren, als man mich nach dem Unfall angerufen hat. Ich sinke auf die Knie und fange an zu weinen, während ich mir einzureden versuche, dass das nicht wirklich geschieht.
Eigentlich müsste ich die Frage, ob es schlimmer ist, die Frau oder die Tochter zu verlieren, problemlos beantworten können, aber plötzlich weiß ich es nicht mehr. Plötzlich finde ich, dass es keinen Unterschied macht. Ich schätze, am schlimmsten ist immer das, was gerade passiert. Ich habe im Laufe der Jahre eine Menge erlebt, allerdings noch nie, dass man ein totes Kind vom Friedhof gestohlen, ja, entführt hat. Keine Ahnung, ob das überhaupt der richtige Ausdruck ist.
Ich weiß nicht so recht, was ich tun soll. Was mein nächster Schritt sein könnte. Ein totes Kind, das ist der schlimmste Albtraum aller Eltern. Aber was, wenn alle Albträume wahr werden?
Ich habe Emily verloren. Schon wieder.
Vor zwei Jahren, an einem Dienstag. Der Dienstag ist ein nichtssagender Tag. Für einen Dienstag nehmen sich die Leute nichts Besonderes vor. Sie heiraten nicht. Fahren nicht in Urlaub. Machen keine Einweihungspartys. Doch es ist erwiesen, dass
Weitere Kostenlose Bücher