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Die Toten schweigen nicht: Thriller (German Edition)

Die Toten schweigen nicht: Thriller (German Edition)

Titel: Die Toten schweigen nicht: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Cleave
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Meist gibt es einen Auslöser, der einen zum Mörder macht. Einen bestimmten Punkt, an dem man ausrastet. Aber es ist wohl eher wahrscheinlich, dass Sidney Alderman vor zehn Jahren, nach dem Tod seiner Frau, übergeschnappt ist, als bei seiner Pensionierung vor zwei Jahren.
    »Jemand muss dafür büßen«, sage ich.
    »Das ist bereits geschehen.«
    »Das war nicht der Richtige.« Ich schiebe die Lasche in den Umschlag. »Die Polizei kommt mit den Ermittlungen gut voran. Sie hatten die Gelegenheit zu helfen, und Sie haben sie nicht genutzt. Das war Ihre Chance auf Wiedergutmachung, Vater.«
    »Lassen Sie sich nicht zu irgendwas hinreißen, Theo. Bruce Alderman war ein guter Mensch. Und Sidney – nun ja, tief in seinem Innern gilt das auch für ihn, momentan ist er allerdings mit seinem Sohn beschäftigt. Respektieren Sie das. Lassen Sie ihn trauern, und überlassen Sie ihn der Polizei.«
    Ich marschiere zur Tür, und Vater Julian bleibt sitzen.
    »Das kann ich nicht«, sage ich.
    Er schüttelt den Kopf und verzichtet diesmal auf eine seiner Weisheiten. Ich lasse ihn im Büro zurück und gehe Richtung Ausgang, vorbei an den Bildern von Jesus und seinen Kumpels. Ich frage mich, was sie wohl zu der Entscheidung des Priesters sagen würden, die Geheimnisse, die man ihm anvertraut hat, für sich zu behalten; ob sie seine Überzeugungen teilen oder ihn als Dummkopf beschimpfen würden. Ich frage mich, ob Vater Julian jetzt gerade um Beistand betet.
    Im vorderen Bereich der Kirche, in einer Nische auf einem Podest liegt ein Register – ein dickes Buch mit Ledereinband und goldener Schrift, das in verschiedene Abschnitte unterteilt ist. Es ist alphabetisch geordnet, und die verschiedenen Abschnitte sind chronologisch gegliedert. Ich blättere die Seiten um und suche nach weiteren Zusammenhängen zwischen den Mädchen und dem Zeitpunkt ihres Verschwindens. Ohne Erfolg. An der Wand hängt eine große Übersichtskarte; darauf ist der Friedhof wie ein Stadtplan in nummerierte Bereiche unterteilt. Mehr brauche ich nicht, um meine nächsten zwei Zielorte zu finden.
    Der erste ist ein Grab. Es liegt nahe der Rückseite der Häuser, weiter die Straße hinauf, am östlichsten Punkt des Friedhofs. Ich fahre so nah heran, wie es geht, dann steige ich aus und laufe hinüber. Zwischen ein paar Bäumen führt ein Pfad hindurch, und plötzlich finde ich mich in einem verlassenen Bereich des Friedhofs wieder. Ich schätze, dass Sidney Alderman nicht so bald zurückkehrt und mich hier entdeckt. Vermutlich hockt er gerade in irgendeiner Bar und trinkt sich einen an, oder er fährt durch die Gegend und versucht zu entscheiden, wo er meine Tochter abladen soll. Oder er steht am Straßenrand, während er wieder zur Vernunft kommt und sich fragt, was zum Teufel er da überhaupt treibt. Vielleicht will er sich auch eine Kugel in den Kopf jagen. Wie der Vater, so der Sohn. Aber das ist eher unwahrscheinlich. Vor zehn Jahren hätte Alderman sein Handeln vielleicht in Frage gestellt. Inzwischen tut er das nicht mehr.
    Allmählich wird es heller und wärmer. Doch innerlich ist mir immer noch kalt. Ich wandere zwischen den Grabsteinen entlang, jeder mit seiner eigenen Geschichte, einer bestimmten Erinnerung. Guten und schlechten. Diese Menschen haben im Leben anderer Menschen eine wichtige Rolle gespielt. Sie haben etwas verändert. Sie haben andere Menschen kennengelernt, sind Beziehungen eingegangen und haben kleine Menschen gemacht, während sie zusammen ihre Zukunft gestaltet haben. Einige sind an Altersschwäche gestorben. Andere an Krankheiten. Die Sprüche auf den Grabsteinen ähneln sich alle. Alle bringen eine bestimmte Haltung zum Ausdruck, sind letzte Nachrichten an die Welt, in der Hoffnung, dass man sie nie vergisst.
    Das Grab, das ich suche, ist in einem guten Zustand – kein Unkraut, kein langes Gras -, aber es sind keine Blumen drauf. Ich bleibe eine Minute davor stehen, bevor ich zu meinem Wagen zurückgehe.
    Mein zweites Ziel ist ein großer Schuppen in der entfernten nordöstlichen Ecke des Friedhofs. Er ist durch einen Holzzaun sowie durch eine Reihe Pappeln vom Rest des Geländes getrennt und etwa so groß wie mein Haus. Im Innern gibt es allerdings weder Wände noch Raumteiler, die das Dach stützen, nur eine Unmenge Gartengeräte und Säcke voller Gras- und Pflanzensamen. Dazu einen Traktor, einen Aufsitzmäher und einen Bagger. Die Maschinen, die man gestern gebraucht hätte, um Henry Martins zu exhumieren, standen die ganze

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