Die Toten schweigen nicht: Thriller (German Edition)
glaube ich das sogar. Wie wär’s also, wenn Sie mir helfen, seine Unschuld zu beweisen? Bruce hat mir erzählt, er wäre unschuldig; dass er zwar die Leichen vergraben hat, aber mit dem Tod der Mädchen nichts zu tun hatte. Wie wär’s, wenn Sie mir helfen, oder wollen Sie lieber weiter an Ihrer Unterstellung festhalten?«
Er sieht mich lange an, und es kommt mir vor, als würde er irgendwo in seinem Innern nach dem richtigen Weg suchen. Entweder braucht er dafür so viel Zeit, weil es ihn große Mühe kostet, oder weil er nicht weiß, was überhaupt noch richtig ist.
»Ich werde Ihnen zuhören, Theo, ein letztes Mal. Aber Sie müssen mir versprechen, dass Sie sich danach nie wieder hier blicken lassen.«
»Sobald Sie hören, was ich zu sagen habe, werden Sie mich nicht mehr bitten …«
Er schüttelt den Kopf und bringt mich zum Schweigen. »Versprechen Sie es«, sagt er. »Im Angesicht Gottes, in seiner Kirche, versprechen Sie mir, dass Sie sich nie wieder hier blicken lassen.«
Die Entscheidung fällt mir nicht leicht, aber ich verspreche es ihm.
»In meinem Büro können wir reden.«
Ich folge ihm durch die Seitentür. Der Flur ist nur spärlich beleuchtet, und wir passieren weitere Türen und jede Menge zugige Ritzen – in Kirchen gibt es reichlich davon. Er führt mich in ein kleines, staubiges Büro, das mit alten Büchern und zusammengewürfelten Möbeln vollgestopft ist. Er nimmt hinter seinem Schreibtisch Platz. Die tief stehende Sonne scheint ihm direkt ins Gesicht. Es wirkt dadurch noch blasser, fast so, als würde es von innen erleuchtet. Als wäre es von einem Heiligenschein umgeben. Die Staubpartikel, die in der Luft schweben, glimmen hell auf. Das Licht verleiht den Stoppeln in seinem Gesicht eine unregelmäßige Färbung, und seine Augen wirken nicht mehr ganz so wütend, sondern eher müde. Hinter ihm an der Wand hängt ein Kruzifix. Jesus scheint ziemlich niedergeschlagen, als würde ihn all das hier langweilen, als hätte er bereits sämtliche Pfarrämter der Welt gesehen und als wäre nach zweitausend Jahren sein Bedarf an Kirchen gedeckt. Das ganze Büro erweckt den Eindruck, als würde sich jede Nacht jemand hereinschleichen und alles ein wenig umräumen. Mit meiner Wohnung ist es das Gleiche, und ich weiß dann nicht, wo ich meine Brieftasche oder die Schlüssel hingelegt habe. Ich nehme ihm gegenüber Platz.
»Wenn ich Ihnen letzte Nacht geholfen hätte, vielleicht …« Vater Julian zögert. »Tja, wer weiß?«
»Ich habe ihn nicht getötet.«
Vater Julian seufzt. »Was wollen Sie von mir, Theo? Sind Sie hier, weil Sie um Vergebung bitten wollen? Dann sind Sie bei mir an der falschen Adresse.«
»Wussten Sie, dass Bruce eine Pistole hatte?«
»Er hatte keine.«
»Das Ding sah aber verdächtig danach aus.«
»Soll das ein Witz sein?«
»Nein. Überlegen Sie mal. Wenn ich vorgehabt hätte, ihn umzubringen, warum hätte ich ihn dann in mein Büro bringen sollen? Glauben Sie, ich hätte ihn direkt vor meinem Schreibtisch erschossen, wo es jeder mitkriegt?«
»Ich … wahrscheinlich nicht. Keine Ahnung. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.«
»Sie sollten mich wirklich besser kennen. Wenn ich ihn hätte umbringen wollen, hätte ich ihn irgendwo anders hingeschafft, und das wissen Sie.«
Er presst die Kiefer aufeinander und kneift die Augen ein wenig zusammen. Den Blick, den er mir zuwirft, möchte ich nie wieder sehen. Er ist angewidert und enttäuscht. Schließlich lehnt er sich auf seinem Stuhl zurück und legt die Hände aneinander, wobei die Fingerkuppen sein Kinn berühren. Er wirkt, als würde er beten. Jesus starrt auf ihn herab, aber er scheint ihm nicht zuzuhören.
»Kommen Sie«, sage ich. »Es muss Ihnen ja nicht gefallen, aber das ist ein berechtigter Einwand.«
Er nickt. »Was hat Bruce Ihnen noch erzählt? Weiß er, wer die Mädchen getötet hat?«
»Nein. Er meinte lediglich, dass ich mit seinem Vater reden soll. Und mir fällt nur eine Person ein, für die Bruce diese Mädchen vergraben haben könnte, und das ist sein Vater.«
»Sie glauben, Sidney hat sie umgebracht?«
»Schon möglich.«
»Was wollen Sie also von mir? Dass ich Ihnen von Bruce erzähle? Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass er ein guter Junge war. Es gibt allerdings noch was, und ich möchte, dass Sie gründlich darüber nachdenken. Gestern war er am Leben, und heute ist er tot.«
Ich antworte nicht. Sondern lasse ihn einfach reden, denn je schneller er sich alles von der Seele
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