Die Toten schweigen nicht: Thriller (German Edition)
wirklich falle, kommt es mir so vor.
»Bruce hat diese Mädchen für irgendjemand vergraben«, sage ich. »War dieser Jemand sein Vater?«
»Es reicht.«
»Oder hat er es für Sie getan, Vater?«, frage ich, ohne zu wissen, woher diese Frage kommt. »Haben Sie diese Mädchen getötet? Hat Bruce sie für Sie vergraben? Sidney sagte, ich soll Sie danach fragen. Er hat gemeint, Sie wüssten sehr viel mehr, als Sie erzählen. Wie tief stecken Sie da mit drin? Haben Sie etwa diese Mädchen getötet? Oder macht es Ihnen einfach nur Spaß, ihren Mörder zu decken?«
»Verschwinden Sie, Theo. Verdammt noch mal, verschwinden Sie, oder ich rufe die Polizei.«
Er tritt einen Schritt zurück und knallt die Tür zu.
Für etwa eine Minute rühre ich mich nicht vom Fleck und frage mich, ob ich tatsächlich gerade Vater Julian auf den Kopf zugesagt habe, dass Bruce diese Mädchen womöglich für ihn vergraben hat. Und was in mich gefahren ist, so etwas zu glauben.
Ich bin mir sicher, dass er mich irgendwo aus seiner Kirche heraus beobachtet, als ich zu meinem Wagen zurückgehe. Mir ist schwindlig und schlecht, und mein Magen fühlt sich so leer an, als hätte ich seit Monaten nichts gegessen. Ich steige in meinen Wagen und verlasse den Friedhof, überzeugt, einen unschuldigen Mann getötet zu haben.
Teil Zwei
Kapitel 25
Die Stadt ist weiß und kalt und voller langer Schatten. Die Luft ist frostig. Dank der Heizung sind jedoch nur die Ränder meiner Windschutzscheibe vereist, auch wenn sie in der Mitte beschlagen ist. Dort, wo ich mit meiner Hand entlanggewischt habe, sind kreisförmige Schlieren zurückgeblieben. Glücklicherweise scheint mein Drink sehr viel besser gegen die Kälte zu helfen als die Heizung.
Es ist zwar noch nicht Winter, zumindest nicht dem Kalender nach, aber das ändert nichts daran, dass das mit Reif überzogene Gras wie Glasscherben unter den Füßen knistert. Die Schatten der Grabsteine sind jetzt noch länger als vor einem Monat, bei meinem Sturz in den See. Man weiß nie, was einen in dieser Stadt erwartet – ein Jahr wird es erst mitten im Winter richtig kalt, dann wieder gibt es bereits im Herbst Frost. Im Moment ist es absolut windstill. Die Bäume stehen so reglos da wie auf einem Schnappschuss. Hier draußen rührt sich nichts. Die Kirche macht einen abweisenden Eindruck, als hätten die eisigen Temperaturen im Innern selbst Gott dazu gebracht auszuziehen. Sie ist allerdings nicht ganz leer. Irgendwo in ihrem Innern befindet sich Vater Julian.
Ich nehme erneut einen Schluck. Mein Hals brennt. Und mich fröstelt.
Die Uhr an meinem Armaturenbrett geht um eine volle Stunde falsch, weil ich nicht dazu gekommen bin, sie auf Winterzeit umzustellen. Auf ihr ist es neun Uhr morgens, das heißt, ich muss eine Stunde dazuzählen oder abziehen – ich verwechsle das immer. Nicht dass es wichtig wäre.
Im Rückspiegel beobachte ich, wie das Polizeiauto hinter mir hält; unter den Rädern knirscht der Kies. Für etwa eine halbe Minute, in der die Insassen im Warmen hocken bleiben, geschieht nichts. Dann öffnen sich die Türen. Zwei Männer kommen näher. Ich kurble das Fenster gerade so weit herunter, dass man sich durch den Spalt verständigen kann. Der Wintermorgen nutzt die Gelegenheit und strömt mit schneidender Kälte in den Wagen, so dass sämtliche Gelenke in meinem Körper zu schmerzen anfangen.
»Morgen, Tate«, sagt der größere der beiden, und sein Tonfall lässt keinen Zweifel daran, dass er meinen Arsch jederzeit in den Knast verfrachten könnte. Seine Wörter bilden in der Luft winzige Ringe aus Dampf.
»Ich dachte, es wäre bereits Nachmittag.«
»Du darfst dich hier nicht aufhalten.«
»Meine Tochter liegt hier. Es ist also mein gutes Recht.«
»Irrtum.«
»Das hier ist ein öffentlicher Ort.«
»Es gibt eine richterliche Verfügung gegen dich, Tate. Das weißt du. Du darfst dich Vater Julian nicht weiter als hundert Meter nähern.«
»Das sind mehr als hundert Meter.«
»Sind es nicht.«
»Ich kann ihn nirgends sehen.«
»Weil er in der Kirche ist.«
»Woher soll ich das wissen? Ich darf schließlich nicht nachsehen, ob er da ist, oder was meinst du?«
»Ich meine, du legst es darauf an, verhaftet zu werden.«
»Du solltest dir was Besseres einfallen lassen. So was zieht dich nur runter.«
»Ist das da, was ich glaube, dass es ist?« Er blickt auf meinen Kaffeebecher aus Styropor herab, der keinen Kaffee enthält.
»Keine Ahnung. Hängt davon ab, was du
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