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Die Toten schweigen nicht: Thriller (German Edition)

Die Toten schweigen nicht: Thriller (German Edition)

Titel: Die Toten schweigen nicht: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Cleave
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Gott!
    Ich rappele mich hoch und betrachte Sidney Alderman aus verschiedenen Blickwinkeln, doch die Situation wird davon nicht besser. Ich denke an Emily und sehe zum Geländewagen rüber, der versteckt zwischen den Bäumen steht. Sie liegt dort im Kofferraum, und ich kann nur hoffen, dass ihre Anwesenheit die ganze Sache in ein besseres Licht rückt. Ich versuche, Aldermans Tod vor mir zu rechtfertigen, indem ich mir sage, dass er es verdient hat. Aber das klappt nicht. Er hätte vielmehr eine Chance verdient, mir alles, was er über die toten Mädchen weiß, zu erzählen, denn die Mädchen haben das ebenfalls verdient. Ich muss an Casey Horwell denken und frage mich, wie sie wohl reagieren würde, wenn ich sie anriefe und ihr erzählte, was sie mit ihrem Bericht ausgelöst hat. Wahrscheinlich wäre sie begeistert – würde sie doch die Sendezeit bekommen, die sie sich so dringend wünscht.
    Ich wanke hinüber zu den Bäumen, das Grab und den Geländewagen immer im Blick. Kann ich irgendetwas tun? Ich schätze schon. Man kann immer etwas tun. Ja, ich kann mich sogar zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden – dumm nur, dass sie in völlig unterschiedliche Richtungen führen.
    Zum einen könnte ich von meinem Handy aus die Polizei anrufen. Aber das mache ich nicht. Denn man würde behaupten, ich hätte das hier mit Absicht getan. Weil Alderman zu weit gegangen ist. Man würde sagen, dass ich Zeit hatte, mich zu beruhigen, da zwischen Emilys Entführung durch Alderman und meiner Tat mehrere Stunden lagen, Stunden, in denen ich das Grab seiner Frau ausgehoben, mit dem Priester gesprochen und meine Ermittlungen fortgesetzt habe. Man würde sagen, dass ich nicht im Affekt, sondern vorsätzlich gehandelt habe, weil ich reichlich Gelegenheit hatte, die Polizei zu benachrichtigen, und es nicht getan habe. Dass ich in vollem Bewusstsein gehandelt habe, dass ich in den Abgrund geblickt habe und gesprungen bin.
    Darum entscheide ich mich für Möglichkeit Nummer zwei.
    Ich klettere zurück ins Grab und drehe Sidney Alderman herum. Links und rechts des Sargs sammelt sich jetzt sein Blut. Als ich an der Schaufel zerre, lässt sie sich zunächst nicht bewegen. Sie hat sich im Innern seines Körpers verhakt. Ich bewege sie hin und her wie einen Zahn, den man entfernen will, und mit einem schmatzenden Geräusch, als würde man seinen Fuß aus dem Schlamm ziehen, löst sie sich schließlich. Ich werfe sie auf den Rasen und klettere hinterher.
    Dann gehe ich zur Rückseite des kleinen Hains und lasse meinen Blick über den Friedhof wandern. Es ist kein Mensch zu sehen. Also laufe ich wieder zurück und fange an, Aldermans Körper mit Erde zu bedecken. Sie prasselt auf ihn hinab: einige Brocken bleiben liegen, andere kullern an ihm herunter, ins Blut. Ich lasse die Schaufel fallen. An ihrem Ende hängen schwarze Erdklumpen, die mit Sidney Aldermans Blut getränkt sind. Ich marschiere hinüber zum Schuppen und kehre mit dem Bagger zurück. Um zur Grabstelle zu gelangen, fahre ich ein Stück den Weg hinunter, vorbei an Bäumen, zwischen Gräbern hindurch und darüber hinweg. Das Loch zuzuschütten dauert nicht so lange, wie es auszuheben. Als ich fertig bin, fahre ich den Bagger wieder zurück; eine Weile lang bleibe ich im Schuppen stehen und versuche das Gleichgewicht zu halten, während alles um mich herum sich dreht. Soeben habe ich einen weiteren Tate zur Sammlung meiner Persönlichkeiten hinzugefügt. Eine kaputter als die andere. Wo soll das bloß enden?
    Ich spüre eine Enge in meiner Brust, und plötzlich kommt mir der Schuppen viel zu klein vor, die Wände schieben sich zusammen, und die Decke senkt sich herab. Ich haste nach draußen, doch es ist, als wäre die ganze Welt nicht groß genug.
    Inzwischen ist die Sonne vollständig hinter den Wolken verschwunden. Es dämmert, und die Umgebung ist nur noch schemenhaft zu erkennen. Mit dem Geländewagen fahre ich zum Grab meiner Tochter und bleibe dort hocken, bis eine Gruppe Trauernder in der Nähe den Bereich verlassen hat. Sachte trage ich sie hinüber, voller Angst, dass sie auseinanderfallen könnte oder dass ich selbst auseinanderfalle. Ich lege sie auf die Erde und steige zwei Meter jener Hölle entgegen, die – das habe ich mal wieder bewiesen – weiter unten auf mich wartet. Dann strecke ich mich, hebe sie hoch und bette sie in ihren Sarg. Sie sieht nicht aus wie Emily. Sie mag dasselbe Kleid tragen, dasselbe Haar haben, doch sonst ist alles an ihr anders. In einer

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