Die Toten schweigen nicht: Thriller (German Edition)
frustriert, einfach von hier fort. Ich beschließe, ihm keine weiteren Ratschläge zu erteilen. Er ist ein großer Junge. Er kann seine eigenen Entscheidungen treffen.
Er braucht eine Minute dafür. Es ist eine Qual, ihn dabei zu beobachten. Eine Qual, auf die Pistole zu starren und sich zu fragen, ob er den Abzug drückt. Schließlich tritt er einen Schritt zurück. Und dann noch einen. Nach wie vor ist die Pistole auf mich gerichtet.
»Wenn sie stirbt«, sagt er, »fahre ich wieder mit dir hierher.«
Dann macht er einen letzten Schritt zurück, wendet sich ab, und ich bin allein.
Kapitel 34
Auf der Seite liegend, ziehe ich meine Knie an die Brust und wälze mich hin und her, um meine Hände unter die Füße zu kriegen. Vergeblich. Ich rolle herum, doch mit den Plastikfesseln an den Handgelenken habe ich nicht genug Bewegungsfreiheit, um meine Arme nach vorne zu bringen. Also knie ich mich wieder hin und setze mich, dann strecke ich die Beine nach vorne aus und fange an, sie an einem bemoosten Stein hin und her zu scheuern, bis unter dem Moos eine scharfe Kante zum Vorschein kommt. Es dauert nur etwa eine Minute, dann reißen die Fesseln. Dasselbe mache ich mit den Handgelenken, und gleich darauf ziehe ich die Injektionsnadel aus meinem Arm und werfe sie auf den Boden, neben mein kaputtes Handy.
Ich schlage dieselbe Richtung ein wie der Anwalt. Meine Kleidung ist feucht und kalt. Donovan Green, falls das sein richtiger Name ist, hat mir zwar keine Kugel verpasst, doch das heißt noch nicht, dass ich hier lebend wieder rauskomme. Wenn ich nicht erfrieren will, muss ich womöglich meine Bandagen dazu benutzen, ein Feuer zu machen. Bäume und Farne streichen über meinen Körper, zerkratzen mir die Hände und verhaken sich in meinen Klamotten. Aus den Kratzern werden tiefe Schnitte, und schließlich fange ich an zu bluten. Mein Schädel pocht immer noch, und ich habe Schmerzen in der Brust von den Haken des Elektroschockers. Meine Hand tut am meisten weh: der Finger mit dem abgebrochenen Nagel brennt höllisch.
Man kann sehen, wo der Anwalt langgegangen ist. Die Augen auf den Boden gerichtet, folge ich den zwei Schleifspuren, die meine Füße in der Erde hinterlassen haben. Vermutlich hat er irgendwo in der Nähe geparkt, weil er keine Lust hatte, mich unter diesen Umständen besonders weit zu schleppen; tatsächlich höre ich kurz darauf, wie ein Wagen vorbeifährt. Ich beschleunige meine Schritte, und eine Minute später trete ich zwischen ein paar Bäumen hindurch auf eine Straße. In der Ferne verschwinden gerade zwei rote Rücklichter.
Während ich dem Wagen folge, kommen keine weiteren Autos vorbei. Ich weiß immer noch nicht, wo ich bin. Meine Zähne klappern, und im Minutentakt wird mein Körper von sekundenlangen, anfallartigen Krämpfen geschüttelt. So ähnlich wäre es Quentin James auf seinem Heimweg auch ergangen, wenn ich ihn verschont hätte, allerdings unter angenehmeren Bedingungen. Ich bin mit ihm an einem sonnigen Tag rausgefahren, einem warmen Tag, einem schöneren Tag zum Sterben als heute, so viel ist sicher.
Schließlich erreiche ich eine leicht befahrene Kreuzung. Ich wische mir mit dem Ärmel das Blut aus dem Gesicht. Und so langsam kriege ich eine Ahnung davon, wo ich mich befinde. Niemand fährt rechts ran, um mich mitzunehmen, und ich halte auch nicht den kaputten Daumen in die Höhe, um jemanden zu stoppen.
Die Straße führt in die Stadt, also nach Hause. Mit dem Wagen bräuchte man für die Strecke fünfzehn Minuten. Zu Fuß werde ich ein paar Stunden unterwegs sein. Mindestens.
Der Tag neigt sich dem Ende zu, und schließlich ist es dunkel. Es fängt wieder an zu regnen. Eine Weile schüttet es so heftig, dass Matsch und Dreck von meinem Körper gewaschen werden, dann lässt der Regen nach, und es nieselt nur noch. Allmählich spüre ich meine Gelenke nicht mehr. Meine Füße fühlen sich wie Eisklötze an. Der Fußmarsch ist das ernüchternde Ende eines Tages und eines ganzen Lebensabschnitts.
Es ist fast Mitternacht, als ich mein Haus erreiche. Ich habe meine Schlüssel nicht dabei, habe bis jetzt noch nicht mal an sie gedacht. Sie liegen in meinem Wagen, und mein Wagen steht höchstwahrscheinlich auf einem Schrottplatz. Ich setze mich auf die Eingangsstufen und lehne mich gegen die Tür. Ich bin erschöpft. Im Profil meiner Schuhsohle stecken kleine Steine und Glassplitter. Ich könnte direkt hier einschlafen.
Nachdem ich mich ein paar Minuten ausgeruht habe, stehe
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