Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
schließlich so, wie er war, in seiner endgültigen Fassung zu den eigenen Ohren der Frau Gouverneur. Die Frau Gouverneur fühlte sich als Familienmutter, als die erste Dame in der Stadt, und endlich als eine Dame, die von all dergleichen auch nicht eine Ahnung gehabt hatte, durch solche Redereien aufs tiefste beleidigt und geriet in eine durchaus gerechtfertigte Empörung. Die arme Blondine mußte das unangenehmste Tête-à-Tête durchmachen, das jemals einem sechzehnjährigen Mädchen beschieden worden ist. Eine ganze Flut von Fragen, Verweisen, Drohungen, Vorwürfen und Ermahnungen ergoß sich über sie, so daß das junge Mädchen in Tränen ausbrach, schluchzte und kein Wort von allem verstand; dem Portier wurde der strengste Befehl gegeben, Tschitschikow zu keiner Zeit und unter keinem Vorwande mehr einzulassen.
Nachdem die Damen ihr Werk getan hatten, soweit es die Frau Gouverneur betraf, machten sie sich an die männliche Partei heran und versuchten, diese auf ihre Seite herüberzuziehen und sie davon zu überzeugen, daß die toten Seelen nur ein Einfall seien, der dazu dienen solle, jeden Verdacht abzulenken und das Gelingen der Entführung zu sichern. Viele von den Männern ließen sich umstimmen und traten zur Partei der Damen über, obwohl sie sich dadurch heftigen Vorwürfen von seiten ihrer Kameraden aussetzten, von denen sie Pantoffelhelden und Weiberknechte geschimpft wurden, Namen, die bekanntlich für einen Mann sehr beleidigend sind.
Aber wie sehr sich auch die Männer zum Widerstande rüsten mochten, so herrschte doch in ihrer Partei absolut nicht die Ordnung wie bei den Frauen. Alles war bei ihnen plump, grob, ungeschickt, untauglich, unharmonisch, unschön; in ihren Köpfen war Konfusion, Unordnung, Unklarheit der Gedanken; kurz, es trat bei ihnen in allen Stücken der geringwertige Charakter des männlichen Geschlechtes zutage, dieser derbe, schwerfällige Charakter, unfähig zur Führung der Wirtschaft, unfähig, tiefe Überzeugungen zu hegen, kleinmütig, träge, voll steter Zweifel und ewiger Besorgnis. Sie sagten, das sei alles dummes Zeug; die Entführung der Tochter eines Gouverneurs sei etwas, was man eher einem Husaren als einem Zivilisten zutrauen könne; Tschitschikow werde so etwas nicht tun; was die Weiber da sagten, sei Faselei; ein Weib sei wie ein Sack: was man hineintue, das nehme er willig auf; die Hauptsache, auf die man sein Augenmerk wenden müsse, seien die toten Seelen; allerdings, was diese zu bedeuten hätten, das möge der Teufel wissen; aber es stecke doch offenbar etwas Arges, Häßliches dahinter. Warum die Männer der Ansicht waren, daß etwas Arges, Häßliches dahinterstecke, werden wir sofort hören. Es war für das Gouvernement ein neuer Generalgouverneur ernannt worden, ein Ereignis, das bekanntlich die Beamten immer in einen Zustand großer Unruhe versetzt: da gibt es Revisionen, Verweise, Strafpredigten und sonst noch allerlei schmackhafte Gerichte, mit denen ein Vorgesetzter seine Untergebenen regaliert. »Donnerwetter«, dachten die Beamten, »wenn er auch bloß erfährt, daß bei uns in der Stadt solche dummen Gerüchte in Umlauf sind, dann wird er schon allein deswegen fuchsteufelswild werden.« Der Inspektor des Medizinalwesens wurde auf einmal ganz blaß; er hatte einen ganz wunderlichen Einfall bekommen: ob nicht unter dem Worte »tote Seelen« die Kranken zu verstehen seien, die in den Krankenhäusern und anderwärts in bedeutender Anzahl an einem epidemischen Fieber gestorben waren, gegen das man nicht die gehörigen Maßregeln ergriffen hatte, und ob nicht Tschitschikow ein aus der Kanzlei des Generalgouverneurs hergesandter Beamter sei, der im geheimen eine Untersuchung anstellen solle. Er machte von dieser Vermutung dem Präsidenten Mitteilung. Der Präsident antwortete, das sei dummes Zeug, wurde aber dann plötzlich selbst blaß, da er sich die Frage vorlegte: wie, wenn die Seelen, die Tschitschikow gekauft hat, wirklich tot sind? Und er hatte die Ausfertigung eines Kontraktes darüber zugelassen, ja sogar selbst als Pluschkins Bevollmächtigter fungiert. Wenn das nun zur Kenntnis des Generalgouverneurs kam, was dann? Er sprach darüber mit diesem und jenem, und plötzlich erbleichte auch dieser und jener; denn die Furcht ist ansteckender als die Pest und teilt sich im Nu mit. Alle entdeckten auf einmal an sich Sünden, die gar nicht vorhanden waren. Das Wort »tote Seelen« klang so unbestimmt, daß sie sogar vermuteten, es könne darin eine
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