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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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und erhielt die Mitteilung, der Staatsanwalt werde begraben. Von einem unangenehmen Gefühle erfüllt, drückte er sich sogleich in die Ecke, zog die ledernen Vorhänge vor und verbarg sich dahinter. Während der Wagen in dieser Weise halten mußte, nahmen Selifan und Petruschka fromm die Mützen ab und betrachteten, wer da fuhr und was für einen Wagen und was für Pferde davor ein jeder hatte; auch zählten sie, wieviel Personen im ganzen zu Fuß und im Wagen folgten; ihr Herr aber, der ihnen befohlen hatte, sich nicht zu erkennen zu geben und keinen der ihnen bekannten Diener zu grüßen, blickte ebenfalls vorsichtig durch die kleinen Glasscheiben in den Ledervorhängen. Hinter dem Sarge gingen, mit den Hüten in der Hand, alle Beamten. Er fürchtete schon, sie könnten seinen Wagen erkennen, aber sie hatten andere Gedanken. Sie waren nicht einmal in allerlei weltlichen Gesprächen begriffen, wie sie ein Leichengefolge gewöhnlich unter sich führt. All ihre Gedanken konzentrierten sich in diesem Augenblicke auf ihre eigenen Personen: sie dachten darüber nach, was für ein Mann wohl der neue Generalgouverneur sein werde, wie er den Dienst handhaben und wie er sich zu ihnen stellen werde. Hinter den zu Fuß gehenden Beamten folgten die Kutschen, in denen man Damen mit Trauerhauben erblickte. Aus den Bewegungen ihrer Lippen und Hände war zu ersehen, daß sie sich lebhaft miteinander unterhielten; vielleicht sprachen sie ebenfalls von der Ankunft des neuen Generalgouverneurs, ergingen sich in Vermutungen über die Bälle, die er geben werde, und machten sich Sorgen um ihre ewigen Festons und Besätze. Hinter den Kutschen folgten endlich einige leere Wagen, einer hinter dem anderen; endlich waren auch diese zu Ende, und unser Held konnte weiterfahren. Er öffnete die Ledervorhänge, seufzte und sagte aus tiefster Seele: »Das war nun der Staatsanwalt! Er hat eine Weile gelebt, und nun ist er gestorben! Und da werden sie nun in den Zeitungen schreiben, er sei dahingeschieden zum großen Schmerze seiner Untergebenen und der ganzen Menschheit, ein allgemein geachteter Bürger, ein seltener Vater, ein musterhafter Gatte, und was sie nicht sonst noch für allerlei Zeug drucken werden; womöglich werden sie noch hinzufügen, die Tränen der Witwen und Waisen hätten ihn zu Grabe geleitet; aber wenn man die Sache genau besieht und prüft, so war an ihm nichts Besonderes weiter als die dichten Augenbrauen.« Nun befahl er Selifan, schneller zu fahren und dachte dabei im stillen: »Es ist doch ganz gut, daß wir einem Leichenzuge begegnet sind; man sagt, es bedeutet Glück, wenn man einem Leichenzuge begegnet.«
    Unterdessen war die Britschke in leerere Straßen eingebogen; bald zogen sich auf beiden Seiten nur lange Holzzäune hin, die das Ende der Stadt ankündigten. Nun hörte schon das Pflaster auf; da war der Schlagbaum; die Stadt lag hinter ihnen; es folgte weiter nichts mehr – und sie waren wieder auf der Landstraße. Und nun kamen wieder auf beiden Seiten des Weges die Werstpfähle, die Stationsaufseher, die Ziehbrunnen, die Frachtwagen, die grauen Dörfer mit den Samowars, den Bauersfrauen und dem forschen, bärtigen Wirte, der mit einem Haferbeutel in der Hand aus der Herberge herausgelaufen kam; ein Wanderer in zerrissenen Bastschuhen, der sich vielleicht schon achthundert Werst weit fortgeschleppt hatte; Städtchen, von allerlei lebenden Wesen erfüllt, mit hölzernen Kaufläden, Mehlfässern, Bastschuhen, Weißbroten und anderem Kram; bunte Schlagbäume; reparierte Brücken; unübersehbare Felder auf der einen und auf der anderen Seite; Reisewagen von Gutsbesitzern; ein Soldat zu Pferde, der einen grünen Munitionswagen mit der Aufschrift: »Soundsovielte Batterie« geleitete; grüne, gelbe und frisch gepflügte schwarze Ackerstreifen in der Steppe; ein langgezogenes Lied in der Ferne; in Nebel gehüllte Fichtenwipfel; in der Ferne verklingendes Glockenläuten; Krähen, so zahlreich wie Fliegenschwärme; und ein weiter, endloser Rundblick … Rußland! Rußland! Von dem wunderschönen, fernen Lande aus, in dem ich weile, sehe ich dich. [10]   Ärmlich, zerstreut und unwirtlich ist alles in dir; keine kühnen Wunder der Natur, gekrönt von kühnen Wundern der Kunst, erfreuen oder erschrecken den Blick; da sind keine Städte mit fensterreichen, hohen, auf Felsen erbauten Palästen, keine malerischen Bäume und Efeustämme, die unter dem Lärm und ewigen Staube der Wasserfälle in die Häuser hineinwachsen;

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