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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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Horizonte zeigt sich ein blasser, goldiger Streif; frischer und schärfer wird der Wind: hülle dich fester in den warmen Mantel! … Welch eine prächtige Kälte! Welch ein wundervoller Schlaf, der dich von neuem umfängt! Ein Stoß – und du erwachst von neuem. Die Sonne steht hoch am Himmel. »Sachte, sachte!« ruft eine Stimme; der Wagen fährt einen steilen Abhang hinunter; unten liegt ein breiter Damm und ein breiter, heller Teich, der in der Sonne wie der Boden eines kupfernen Kessels glänzt; ein Dorf, die Bauernhäuser liegen auf der Berglehne zerstreut; wie ein Stern glänzt seitwärts das Kreuz der Dorfkirche; du hörst das Reden der Bauern untereinander, und ein unwiderstehlicher Appetit regt sich in deinem Magen … O Gott, wie schön ist manchmal eine solche weite, weite Fahrt! Wie oft habe ich mich wie ein Versinkender und Ertrinkender an sie geklammert, und sie hat mir jedesmal aus der Not geholfen und mich gerettet. Und wie viele wundervolle Gedanken und poetische Träumereien werden auf einer solchen Fahrt geboren, wie viele wundervolle Gefühle macht man durch! … Aber auch die Gedanken unseres Freundes Tschitschikow waren in diesem Augenblicke nicht ganz von prosaischer Art. Sehen wir einmal zu, was für Gefühle ihn erfüllten! Zuerst empfand er einfach gar nichts und blickte nur zurück, um sich zu vergewissern, ob er auch wirklich aus der Stadt heraus sei; aber als er sah, daß die Stadt schon längst verschwunden und weder Schmieden noch Mühlen noch sonst etwas von alledem, was sich um eine Stadt herum zu finden pflegt, mehr sichtbar war und sogar die weißen Kuppeln der steinernen Kirchen schon längst in die Erde gesunken waren, da beschäftigte er sich einzig und allein mit der Landstraße, blickte nur rechts und links, und die Stadt N. schien gar nicht mehr in seinem Gedächtnisse vorhanden zu sein, wie wenn er vor langer Zeit, in seiner Kindheit, einmal durchgefahren wäre. Endlich hörte auch die Landstraße auf, sein Interesse zu erwecken, und er begann sanft die Augen zu schließen und sich mit dem Kopfe gegen das Kissen zu lehnen. Der Verfasser muß gestehen, daß er darüber sogar recht froh ist, da er auf diese Weise die Möglichkeit hat, ein paar Worte über seinen Helden zu sagen; denn bisher hat ihn, wie der Leser gesehen hat, beständig etwas daran gehindert: bald Nosdrew, bald ein Ball, bald die Damen, bald der Stadtklatsch und schließlich jene tausend Kleinigkeiten, die nur dann für Kleinigkeiten angesehen werden, wenn in einem Buche von ihnen die Rede ist, die aber, wenn sie im wirklichen Leben auftreten, als sehr wichtige Dinge gelten. Aber jetzt wollen wir alles beiseite lassen und uns geradezu mit unserem Gegenstande beschäftigen.
    Es ist sehr zweifelhaft, ob der Held, den wir uns ausgewählt haben, den Lesern gefallen wird. Den Damen wird er jedenfalls nicht gefallen, das kann man mit Sicherheit sagen; denn die Damen verlangen, daß ein Held ein reines Ideal sei, und wenn ihm der geringste seelische oder leibliche Makel anhaftet, so hat er bei ihnen verspielt! Mag ihm der Verfasser auch noch so tief in die Seele hineinblicken und sein Bild klarer und reiner reproduzieren als ein Spiegel, die Damen werden ihn dennoch nicht ästimieren. Schon Tschitschikows Korpulenz und sein mittleres Lebensalter schaden ihm bei ihnen viel; Korpulenz verzeihen sie einem Helden unter keinen Umständen, und gewiß wenden sich sehr viele Damen ab und sagen: »Pfui, was für ein garstiger Mensch!« All dies weiß der Verfasser vorher; aber trotzdem kann er sich leider keinen tugendhaften Menschen zum Helden wählen. Aber … vielleicht wird man noch in dieser selben Novelle andere, bisher nicht angeschlagene Saiten erklingen hören; vielleicht wird uns noch der unermeßliche Reichtum des russischen Geistes vor Augen geführt werden; vielleicht wird noch ein mit göttlichem Heldenmute begabter Mann auftreten oder ein herrliches russisches Mädchen, wie es sonst auf der ganzen Welt nirgends zu finden ist, mit aller jungfräulichen Schönheit der weiblichen Seele, ganz von hochherzigem Streben erfüllt und zur Selbstaufopferung bereit. Und ihnen gegenüber werden alle tugendhaften Menschen anderer Nationen tot erscheinen, so wie ein Buch tot erscheint im Vergleich mit dem lebendigen Worte! Alle Regungen der russischen Seele werden zutage kommen, und man wird sehen, wie tief dasjenige in den Charakter des Slawen eindringt, was bei anderen Völkern auf der Oberfläche bleibt … Aber was hat

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