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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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enge, sehr abschüssige und sehr kotige Seitengasse begann; in dieser Gasse mußte das Pferd, von dem Buckligen und dem Herrn selbst angetrieben, lange aus allen Kräften sich abarbeiten und im Kote waten, bis es sie endlich auf einen kleinen Hof schleppte, der auf einem Bergabhange lag, mit zwei blühenden Apfelbäumen vor einem alten Häuschen und mit einem Gärtchen hinter demselben; dieses winzige Gärtchen bestand nur aus ein paar Ebereschen- und Holunderbüschen und einer im Hintergrunde versteckten hölzernen, mit Schindeln gedeckten kleinen Bude, die nur ein schmales, trübes Fensterchen hatte. In diesem Häuschen wohnte eine Verwandte von ihnen, eine gebrechliche alte Frau, die aber noch jeden Morgen auf den Markt ging und nachher ihre Strümpfe am Samowar trocknete. Diese klopfte dem Knaben auf die Backe und freute sich über seinen guten Ernährungszustand. Hier sollte er bleiben und täglich die Stadtschule besuchen. Der Vater blieb noch über Nacht da und machte sich am anderen Tage auf die Heimreise. Beim Abschied entströmten den väterlichen Augen keine Tränen; er gab dem Sohne einen halben Rubel in Kupfergeld zu verschiedenen kleinen Ausgaben und zu Näschereien und erteilte ihm, was weit wichtiger war, einige gute Lehren: »Merk dir das, lieber Pawel: lerne tüchtig, treib keine Dummheiten und begehe keine mutwilligen Streiche; vor allen Dingen aber suche dir das Wohlwollen deiner Lehrer und deiner anderen Vorgesetzten zu erwerben. Wenn du deren Wohlwollen besitzt, dann wirst du, auch wenn du im Lernen nicht viel leistest und Gott dir kein Talent gegeben hat, dennoch deinen Weg machen und allen anderen zuvorkommen. Mit deinen Mitschülern verkehre nicht: sie werden dich nichts Gutes lehren; wenn es aber doch zum Verkehr mit ihnen kommt, dann verkehre mit den Wohlhabendsten unter ihnen, damit sie dir bei Gelegenheit nützlich sein können. Traktiere und beschenke du niemanden, sondern richte es lieber so ein, daß sie dich traktieren und beschenken; vor allen Dingen aber spare die Kopeke und hebe sie dir auf: sie ist das Zuverlässigste, was es auf der Welt gibt. Ein Kamerad oder Freund wird dich übers Ohr hauen und in der Not der erste sein, der dich im Stich läßt; aber die Kopeke wird dich in keiner Not, in der du dich befinden magst, im Stich lassen. Mit der Kopeke kann man in der Welt alles ausrichten und alles durchsetzen.« Nachdem der Vater ihm diese Ermahnungen gegeben hatte, trennte er sich von dem Sohne und fuhr wieder mit seiner Elster nach Hause; seitdem sah ihn der Sohn nie mehr wieder, aber seine Lehren hatten sich ihm tief in die Seele eingeprägt.
    Gleich am nächsten Tage begann der kleine Pawel in die Schule zu gehen. Besondere Befähigung für irgendeine Wissenschaft war bei ihm nicht wahrzunehmen; er zeichnete sich mehr durch Fleiß und Ordnungsliebe aus; aber dafür bewies er auf einem anderen Gebiete großen Verstand, auf dem Gebiete der Praxis. Er merkte und begriff sofort, wie die Dinge lagen, und gestaltete seinen Verkehr mit den Kameraden so, daß sie ihn traktierten und beschenkten, während er selbst dies niemals tat, sondern sogar manchmal das empfangene Geschenk aufbewahrte und später an den Spender selbst zurückverkaufte. Schon als Kind hatte er gelernt, sich alle Genüsse zu versagen. Von dem halben Rubel, den ihm sein Vater gegeben hatte, verausgabte er auch nicht eine Kopeke; im Gegenteil vermehrte er dieses Kapital noch in demselben Jahre vermöge einer besonderen Geschicklichkeit, die er bewies: er knetete aus Wachs einen Dompfaffen, tuschte ihn an und verkaufte ihn sehr vorteilhaft. Dann verlegte er sich eine Zeitlang auf andere Spekulationen, nämlich auf folgende: er kaufte auf dem Markte Eßwaren, setzte sich in der Klasse neben wohlhabende Mitschüler, und wenn er merkte, daß seinem Nachbar übel wurde, was ein Zeichen von beginnendem Hunger war, so ließ er ihn unter der Bank wie zufällig die Ecke eines Pfefferkuchens oder einer Semmel sehen, und wenn er auf diese Art dessen Begierde gereizt hatte, so verkaufte er ihm das Betreffende, wobei er den Preis nach dem Appetit des Käufers bemaß. Zwei Monate lang mühte er sich zu Hause ununterbrochen mit einer Maus ab, die er in einen kleinen hölzernen Käfig gesetzt hatte, und brachte es endlich dahin, daß die Maus auf Kommando sich auf die Hinterpfoten aufrichtete und sich hinlegte und wieder aufstand; dann verkaufte er das Tierchen sehr vorteilhaft. Als sein Geld auf fünf Rubel angewachsen war,

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