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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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habe; er und sein Bruder hätten die Absicht, nach Petersburg zu gehen, da das Leben in der Provinz ja doch nichts wert sei.
    »Ich verstehe«, dachte Tschitschikow, »ihr habt es auf die Konditoreien und Boulevards abgesehen …« – »Wie steht es?« fragte er laut. »In welchem Zustande befindet sich das Gut Ihres Vaters?«
    »Es ist mit einer Hypothek belastet«, erwiderte der Vater selbst, der plötzlich wieder im Salon erschien, »ja, ja.«
    »Schlimm«, dachte Tschitschikow. »Auf die Art wird bald kein einziges Gut mehr schuldenfrei sein. Man muß sich beeilen.« – »Aber Sie haben doch gewiß keine Nötigung gehabt, so schnell eine Hypothek darauf aufzunehmen?«
    »Ach, das macht nichts«, antwortete Pjetuch. »Man sagt ja, das sei vorteilhaft. Alle nehmen Hypotheken auf, warum soll man hinter den anderen zurückbleiben? Außerdem habe ich die ganze Zeit über hier gelebt, da möchte ich auch einmal das Leben in Moskau versuchen. Meine Söhne da reden mir ebenfalls zu; sie möchten eine großstädtische Bildung genießen.«
    »Der Dummkopf, der Dummkopf!« dachte Tschitschikow. »Er wird alles verschwenden und auch seine Kinder zu Verschwendern machen. Und das Gut ist nicht übel. Man sieht auf den ersten Blick, daß es den Bauern gut geht, und der Herrschaft ebenfalls. Aber wenn sie erst in den Restaurants und Theatern ihre Bildung vervollständigen, dann wird alles zum Teufel gehen. Er sollte ruhig hier wohnen bleiben, der Schmerbauch.«
    »Ich weiß, was Sie denken«, sagte Pjetuch.
    »Nun, was denn?« fragte Tschitschikow verlegen.
    »Sie denken: ›Dieser Pjetuch ist doch ein rechter Schafskopf: hat mich zum Mittagessen eingeladen, aber es gibt immer noch nichts.‹ Es wird gleich fertig sein, Verehrtester. Schneller, als sich ein kurzgeschorenes [11]   Mädchen den Zopf flechten kann, wird das Essen da sein.«
    »Vater! Da kommt Platon Michailowitsch!« rief Alexei bei einem Blick durch das Fenster.
    »Er reitet auf einem Fuchs«, fügte Nikolai, zum Fenster hineilend, hinzu.
    »Wo, wo?« rief Pjetuch, der ebenfalls ans Fenster trat.
    »Wer ist das, Platon Michailowitsch?« erkundigte sich Tschitschikow bei Alexei.
    »Unser Nachbar, Platon Michailowitsch Platonow, ein prächtiger Mensch, ein ganz vortrefflicher Mensch«, antwortete Pjetuch selbst.
    In diesem Augenblicke trat Platonow selbst ins Zimmer, ein schöner, schlank gewachsener Mann mit blondem, glänzendem, lockigem Haar. Ihm folgte, mit dem messingnen Halsbande rasselnd, ein schreckliches Ungeheuer von Hund, mit gewaltigem Maule, namens Jarb.
    »Haben Sie schon zu Mittag gegessen?«
    »Das habe ich.«
    »Was soll das heißen? Sie sind wohl hergekommen, um sich über mich lustig zu machen? Was soll ich denn mit Ihnen anfangen, wenn Sie schon gegessen haben?«
    Der Gast erwiderte lächelnd: »Zu Ihrem Troste kann ich Ihnen sagen, daß ich gar keinen Bissen genossen habe; ich hatte gar keinen Appetit.«
    »Hätten Sie doch gesehen, was wir vorhin für Fische gefangen haben! Ein Riesentier von Stör ist uns ins Netz gegangen! Und was für Karauschen und Karpfen!«
    »Es macht einen ordentlich verdrießlich, Sie so reden zu hören. Warum sind Sie denn immer so vergnügt?«
    »Warum sollte ich denn melancholisch sein? Ich bitte Sie!« erwiderte der Hausherr.
    »Ist das eine Frage! Weil es langweilig ist.«
    »Sie essen zu wenig; das ist das Ganze. Versuchen Sie doch einmal, ordentlich zu Mittag zu essen! Das ist auch so eine Erfindung der Neuzeit, die Langeweile; früher langweilte sich niemand.«
    »Prahlen Sie nur nicht! Als ob Sie sich nie gelangweilt hätten!«
    »Nein, niemals! Und ich weiß nicht, ich habe gar nicht einmal Zeit dazu, mich zu langweilen. Wenn man am Morgen aufwacht, dann erscheint sogleich der Koch, und man muß das Nötige für das Mittagessen anordnen; dann trinkt man Tee; dann kommt der Verwalter; dann geht man zum Fischfang, und dann folgt das Mittagessen. Nach Tische hat man kaum Zeit gehabt, ein bißchen zu schlummern, dann stellt sich auch schon wieder der Koch ein, und man muß das Abendessen bestellen, und nachher kommt der Koch noch einmal, und man muß mit ihm Rücksprache nehmen über das Mittagessen für den folgenden Tag … Wann soll man sich da langweilen?«
    Während dieses ganzen Gespräches betrachtete Tschitschikow den Gast, der ihn durch seine außerordentliche Schönheit, durch seinen schlanken, malerischen Wuchs, durch seine frische, unverbrauchte Jugendkraft und durch die mädchenhafte Reinheit

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