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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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seines durch keine Hautunreinigkeit verunzierten Teints in Erstaunen versetzte. Weder Leidenschaften noch Kummer, noch überhaupt etwas einer Aufregung oder Unruhe Ähnliches hatten es gewagt, sein mädchenhaftes Gesicht zu berühren und eine Falte auf ihm hervorzurufen; zugleich aber fehlte seinem Gesichte auch die Lebendigkeit, die die Folge solcher Affekte ist. Sein Gesicht blieb immer schläfrig, trotz des ironischen Lächelns, das mitunter darüber hinglitt.
    »Auch ich«, sagte Tschitschikow, »kann, wenn Sie mir diese Bemerkung gestatten, nicht begreifen, wie jemand mit einem solchen Äußeren, wie es das Ihrige ist, melancholisch sein kann. Allerdings, wenn es einem an Geld mangelt oder man Feinde hat, wie es denn deren manchmal gibt, die einem sogar nach dem Leben trachten …«
    »Glauben Sie mir«, unterbrach ihn der schöne Gast, »ich wünsche mir manchmal um der Abwechselung willen eine Beunruhigung, zum Beispiel, daß mich jemand ärgern möchte; aber auch das geschieht nicht. Mein Leben ist einfach langweilig, weiter nichts.«
    »Da haben Sie wohl zu wenig Land bei Ihrem Gute oder zu wenig Seelen?«
    »Keineswegs. Ich und mein Bruder haben etwa zehntausend Dessätinen Land und dabei mehr als tausend Bauern.«
    »Sonderbar, das verstehe ich nicht. Aber vielleicht haben Sie Mißernten und Epidemien gehabt? Sind Ihnen viele Bauern gestorben?
    »Im Gegenteil, es ist alles in schönster Ordnung, und mein Bruder ist ein vortrefflicher Landwirt.«
    »Und trotzdem diese Melancholie! Das verstehe ich nicht!« sagte Tschitschikow achselzuckend.
    »Na, die Melancholie wollen wir sofort verscheuchen«, sagte der Hausherr. »Lauf flink in die Küche, Alexei, und sage dem Koch, er soll uns so schnell wie möglich die Fischpastetchen schicken! Und wo bleiben denn der Faulpelz Jemeljan und der Dieb Anton? Warum bringen sie nicht die Vorspeisen?«
    Aber in diesem Augenblicke öffnete sich die Tür. Der Faulpelz Jemeljan und der Dieb Anton erschienen mit Servietten unter dem Arme, deckten den Tisch und stellten ein Präsentierbrett mit sechs Karaffen darauf, in denen sich verschiedenfarbige Liköre befanden. Schnell gruppierte sich um das Präsentierbrett mit den Karaffen ein ganzer Kranz von Schüsseln mit allerlei appetitreizenden Speisen. Die Diener tummelten sich eifrig und brachten eine zugedeckte Schüssel nach der anderen herein, in denen man die Butter noch spratzeln hörte. Der Faulpelz Jemeljan und der Dieb Anton erfüllten ihre Obliegenheiten in ausgezeichneter Weise. Diese Benennungen waren ihnen nur so zur Aufmunterung gegeben. Der Herr war durchaus kein Freund vom Schimpfen; er war vielmehr ein sehr gutmütiger Mensch; aber der Russe kann nun einmal ohne ein kräftig gewürztes Wort nicht auskommen. Er bedarf solcher Ausdrücke ebenso wie eines Gläschens Schnaps zur Verdauung. Was ist da zu machen? Das ist eben seine Natur; fade Süßigkeit kann er nicht leiden.
    Auf die Vorspeisen folgte das Mittagessen. Hier wurde der gutmütige Hausherr vollständig zum Tyrannen. Kaum bemerkte er, daß einer seiner Gäste ein Stück gegessen hatte, so legte er ihm auch schon ein zweites hin, wobei er sagte: »Ohne einen Genossen kann kein Mensch und kein Vogel auf der Welt leben.« Und hatte jemand die zwei Stücke verzehrt, so packte er ihm ein drittes auf, mit der Bemerkung: »Zwei ist gar keine Zahl! Gott liebt die Dreieinigkeit.« Hatte der Gast die drei vertilgt, so sagte er zu ihm: »Wo gibt es einen Wagen auf drei Rädern? Und wer baut ein Haus mit drei Ecken?« Nach vier Stücken hatte er wieder eine andere Redensart zur Hand, und nach fünf ebenfalls. Tschitschikow hatte von einem Gerichte ziemlich zwölf Stücke gegessen und dachte: »Na, jetzt wird der Wirt wohl nichts mehr vorzubringen haben.« Aber es kam anders: ohne ein Wort zu sagen, legte ihm der Wirt ein Rücken- und Nierenstück von einem am Spieße gebratenen Kalbe auf den Teller; und was war das für ein Kalb gewesen!
    »Zwei Jahre lang habe ich es nur mit Milch nähren lassen«, sagte der Wirt, »ich habe es gepflegt wie einen eigenen Sohn!«
    »Ich kann nicht mehr«, sagte Tschitschikow.
    »Versuchen Sie nur erst, und dann sagen Sie: ›Ich kann nicht mehr!‹«
    »Es geht nicht mehr herein, es ist kein Platz da.«
    »In der Kirche war auch kein Platz mehr; da kam der Polizeimeister, und es fand sich für ihn ein Platz. Und doch war ein solches Gedränge gewesen, daß kein Apfel hatte zur Erde fallen können. Versuchen Sie nur; dieses Stück ist

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