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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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nur langsam reich; wer aber Millionen besitzt, der hat einen großen Wirkungskreis: alles, was er in die Hand nimmt, verdoppelt und verdreifacht sich ohne sein Zutun; das Feld seiner Tätigkeit ist ein außerordentlich weites. Und auf diesem Felde hat er keinen Konkurrenten mehr. Mit ihm kann sich niemand messen. Wie er den Preis für irgend etwas ansetzt, so bleibt er fest; niemand hat die Möglichkeit, ihn zu überbieten.«
    »Herr, du mein Gott!« rief Tschitschikow aus, indem er sich bekreuzte. Er blickte seinem Wirte ins Gesicht, und der Atem stockte ihm in der Brust. »Das kann ja kein Verstand begreifen! Die Denkkraft erstarrt vor Schreck! Da staunt man über die Weisheit der Vorsehung bei Betrachtung eines Käferchens: mir scheint es noch erstaunlicher, daß sich in den Händen eines Sterblichen so gewaltige Summen zusammenfinden können. Gestatten Sie noch eine Frage: sagen Sie, beim Erwerb dieses Vermögens ist es doch gewiß zu Anfang nicht ganz rechtmäßig zugegangen?«
    »Es ist auf absolut tadellosem Wege und mit den rechtlichsten Mitteln erworben.«
    »Das kann ich nicht glauben! Das ist unglaublich! Ja, wenn es Tausende wären, aber Millionen …«
    »Im Gegenteil, Tausende erwirbt man schwer ohne Vergehen, aber Millionen leicht. Ein Millionär braucht nicht zu krummen Wegen seine Zuflucht zu nehmen: er kann geradezu gehen und nimmt einfach alles, was vor ihm liegt. Ein anderer kann’s nicht aufheben; es hat nicht jeder die Kraft dazu; er aber hat keine Konkurrenten. Sein Wirkungskreis ist ein großer; wie schon gesagt: alles, was er in die Hand nimmt, verdoppelt und verdreifacht sich ohne sein Zutun. Aber, was hat man von tausend Rubeln? Zehn, zwanzig Prozent.«
    »Und was das Unbegreiflichste ist: er soll mit einer Kopeke angefangen haben!«
    »Ja, anders pflegt das auch nicht zu geschehen; das ist der regelrechte Gang der Dinge«, erwiderte Kostanschoglo. »Wer im Besitze von Tausenden geboren und aufgewachsen ist, der erwirbt nichts mehr hinzu; der hat schon allerlei Gelüste und was nicht sonst noch alles! Man muß vom Anfang anfangen und nicht von der Mitte, von der Kopeke und nicht vom Rubel, von unten und nicht von oben: nur so lernt man die Menschen und die Welt kennen, inmitten deren man sich später zu bewegen haben wird. Wenn man dies und das an der eigenen Haut erfahren und mit jeder Kopeke haushälterisch umgehen gelernt und alle möglichen Nöte durchgemacht hat: dann schult einen das und macht einen klug, so daß man nachher bei seinen Unternehmungen keine Böcke schießt und nicht damit hereinfällt. Glauben Sie mir, das ist die Wahrheit. Man muß von Anfang anfangen und nicht von der Mitte. Wer zu mir sagt: ›Geben Sie mir hunderttausend Rubel, dann will ich schnell reich werden‹, dem glaube ich nicht: er verläßt sich auf den Zufall, statt sicher zu gehen. Mit der Kopeke muß man anfangen.«
    »Wenn es so ist, dann werde ich reich werden«, bemerkte Tschitschikow, der unwillkürlich an die toten Seelen denken mußte, »denn ich fange wirklich mit nichts an.«
    »Konstantin, es ist Zeit, daß wir Pawel Iwanowitsch sich erholen und zur Ruhe gehen lassen«, sagte die Hausfrau. »Du bist ganz ins Plaudern hineingekommen.«
    »Unfehlbar werden Sie reich werden«, versetzte Kostanschoglo, ohne auf seine Frau zu hören. »Ganze Ströme Goldes werden Ihnen zufließen. Sie werden gar nicht wissen, wo Sie mit Ihren Einnahmen bleiben sollen.«
    Wie verzaubert saß Tschitschikow in dem goldenen Reiche aufschießender Zukunftsphantasien da. Seine Gedanken wirbelten durcheinander. In den goldenen Teppich seines demnächstigen Reichtums stickte seine ausschweifende Einbildungskraft goldene Figuren hinein, und in seinen Ohren klangen die Worte wider: »Ströme Goldes werden Ihnen zufließen …«
    »Wirklich, Konstantin, es wird Zeit, daß Pawel Iwanowitsch schlafen geht.«
    »Was hast du denn nur? So geh doch schlafen, wenn du müde bist!« erwiderte der Hausherr und hielt inne: Platonow schnarchte auf einmal so laut, daß es durch das ganze Zimmer schallte, und ihm schloß sich Jarb mit noch lauteren Tönen an. Da er einsah, daß es wirklich Zeit zum Zubettgehen war, so stieß er Platonow an mit den Worten: »Na, nun hör auf zu schnarchen!« und wünschte Tschitschikow eine gute Nacht. Alle trennten sich voneinander und schliefen bald in ihren Betten.
    Nur Tschitschikow konnte nicht einschlafen. Seine Gedanken waren in zu großer Aufregung. Er dachte darüber nach, wie er wohl in den

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