Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
Vom Netzwerk:
Das Wasser lief ihm im Munde zusammen. Sogar seine Augen bekamen einen butterigen Glanz und einen süßen Ausdruck, und er hätte gern noch immer länger zugehört.
    »Konstantin, es ist Zeit zum Aufstehen«, sagte die Hausfrau, sich von ihrem Stuhle erhebend. Alle standen auf. Mit abgespreiztem Arme führte Tschitschikow die Hausfrau wieder zurück; aber es mangelte seinen Bewegungen jetzt an der früheren Gewandtheit, weil seine Gedanken mit ernsteren Gegenständen beschäftigt waren.
    »Da magst du reden, was du willst, die Landwirtschaft ist doch langweilig«, sagte Platonow, der hinter ihnen herging.
    »Der Gast ist kein dummer Mensch«, dachte der Hausherr. »Er hört aufmerksam zu, spricht gesetzt und ist kein Federfuchser.« Und bei diesem Gedanken wurde ihm noch fröhlicher zumute, wie wenn er von seinen eigenen Reden warm geworden wäre und sich freute, einen Menschen gefunden zu haben, der es verstand, kluge Ratschläge anzuhören.
    Als dann alle in dem gemütlichen, von Kerzen beleuchteten Zimmerchen, gegenüber der Veranda und der in den Garten führenden Glastür, Platz genommen hatten und von dort die über den Wipfeln des schlafenden Gartens blitzenden Sterne zu ihnen hereinblickten, da wurde unserem Tschitschikow so wohl zumute wie seit langer Zeit nicht: gerade wie wenn er nach langen Irrfahrten endlich wieder unter sein heimisches Dach zurückgekehrt wäre, alle Mühen überstanden, alles Gewünschte erreicht und seinen Wanderstab mit dem Ausrufe »Genug!« hingeworfen hätte. Diese wohlige Stimmung hatten in seiner Seele die verständigen Reden des gastfreien Hausherrn hervorgerufen. Es gibt für einen jeden Menschen solche Reden, die ihm mehr zu Herzen gehen und sympathischer sind als andere. Und oft stößt man unerwartet in einem abgelegenen, weltvergessenen Neste, in der Einöde und Einsamkeit, auf einen Menschen, über dessen erwärmendem Gespräche man das Ungemach der Reise und die Unbequemlichkeit des Nachtlagers und die lärmende Ausschweifung der Jetztzeit und die uns von allen Seiten umgebende Lügenhaftigkeit vergißt. Und ein in dieser Art verbrachter Abend prägt sich einem für alle Folgezeit lebhaft ein, und das treue Gedächtnis hält alles fest: wer zugegen gewesen ist, und auf welchem Platze ein jeder gesessen hat, und was er in der Hand gehabt hat, und die Wände und Ecken des Zimmers und jede Kleinigkeit.
    So bemerkte auch Tschitschikow an diesem Abend alles: dieses nette, einfach möblierte Zimmerchen und den gutmütigen Ausdruck auf dem Gesichte des verständigen Hausherrn, ja sogar das Muster der Tapete, und wie der Hausherr seinem Schwager Plantonow eine Pfeife mit einem Mundstück aus Bernstein reichte, und wie dieser dem Hunde Jarb den Rauch in die dicke Schnauze blies, und wie der Hund schnob, und wie die liebenswürdige Hausfrau darüber lachte, zugleich aber sagte: »Laß das doch, quäle ihn nicht!«, und wie die Kerzen lustig brannten und das Heimchen in der Ecke zirpte und die über den Baumwipfeln ruhende, mit Sternen übersäte Frühlingsnacht durch die Glastür zu ihnen hereinblickte, und wie die Nachtigallen aus der Tiefe des grünen Dickichts laut ihre Melodien schmetterten.
    »Ihre Worte gehen mir süß ein wie Honig, verehrungswürdiger Konstantin Fjodorowitsch!« sagte Tschitschikow. »Ich kann sagen, daß ich in ganz Rußland keinen Menschen gefunden habe, der Ihnen an Verstand gleichkäme.«
    Der Hausherr lächelte. Er hatte selbst die Empfindung, daß diese Worte nicht unzutreffend waren. Aber er erwiderte: »Nein, wenn Sie einen wirklich klugen Menschen kennenlernen wollen, so haben wir hier in der Gegend tatsächlich einen, von dem ich wahrheitsgemäß sagen kann: ein kluger Mensch, mit dem ich mich nicht im entferntesten messen kann.«
    »Wer könnte denn das sein?« fragte Tschitschikow erstaunt.
    »Unser Branntweinpächter Murasow.«
    »Ich höre von ihm schon zum zweiten Male!« rief Tschitschikow.
    »Das ist ein Mann, der nicht nur ein Gut, sondern einen ganzen Staat verwalten könnte. Wenn ich ein Königreich besäße, so würde ich ihn sogleich zum Finanzminister machen.«
    »Und es heißt, er habe sich ein ganz unglaubliches Vermögen erworben; man spricht von zehn Millionen.«
    »Zehn Millionen? Er ist schon über vierzig hinaus. Er wird bald halb Rußland in seinen Händen haben.«
    »Was Sie sagen!« rief Tschitschikow, Mund und Augen aufsperrend.
    »Zuverlässig. Die Sache ist ganz klar. Wer nur ein paar hunderttausend Rubel hat, der wird

Weitere Kostenlose Bücher