Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
niemals erreichen; wenn Sie aber reich werden wollen, ohne nach der Zeit zu fragen, dann wird es Ihnen bald gelingen.«
»Also so ist das!« erwiderte Tschitschikow.
»Ja«, fuhr Kostanschoglo in barschem Tone fort, wie wenn er über Tschitschikow selbst ärgerlich wäre, »man muß Liebe zur Arbeit haben; ohne das kann man nichts ausrichten. Man muß die Landwirtschaft lieben, ja! Und glauben Sie nur: die Landwirtschaft ist ganz und gar nicht langweilig. Da hat man sich nun die Ansicht zurechtgemacht, daß es auf dem Lande langweilig sei; aber ich für meine Person würde vor Langeweile sterben, wenn ich auch nur einen einzigen Tag in der Stadt so verleben sollte, wie es diese Leute in ihren dummen Klubs, Restaurants und Theatern tun. Narren sind sie, Dummköpfe, eine ganze Generation von Eseln! Der Landwirt hat schlechterdings keine Zeit, sich zu langweilen. In seinem Leben ist auch nicht ein halber Zoll leerer Raum; alles ist ausgefüllt. Schon allein diese Mannigfaltigkeit seiner Arbeiten, und was sind das noch dazu für Arbeiten! Arbeiten, die wahrhaft herzerhebend wirken. Jedenfalls geht hier der Mensch in gleichem Schritt und Tritt mit der Natur, mit den Jahreszeiten; er ist Teilnehmer und Mitarbeiter an allem, was in der Schöpfung vorgeht. Betrachten Sie nur den geschlossenen Ring der Arbeiten im Jahre: wie, noch ehe der Frühling anbricht, alles schon auf dem Posten ist und ihn erwartet; man muß die Aussaat vorbereiten, das Korn auf den Speichern revidieren, nachmessen, trocknen; neue Arbeiter müssen eingestellt werden. Alles wird im voraus überlegt, alles gleich zu Beginn berechnet. Und sobald das Eis aufgeht, die Flüsse frei werden, alles trocknet und die Erde locker wird, dann arbeitet auf den Gemüsefeldern und in den Gärten der Spaten, auf den Feldern der Pflug und die Egge; es wird gepflanzt, gesetzt und gesät. Verstehen Sie wohl, was das zu bedeuten hat? Das ist kein Kinderspiel! Was da gesät wird, ist die künftige Ernte! Was da gesät wird, ist ein Segen für die ganze Erde, die Nahrung von Millionen Menschen! Und nun kommt der Sommer; da wird Heu geerntet und wieder Heu geerntet. Und dann schwillt die Erntearbeit auf einmal mächtig an: Roggen und wieder Roggen, und dann der Weizen, und die Gerste, und der Hafer. Alles ist in angestrengter Tätigkeit, keine Minute darf unbenutzt bleiben; und wenn man zwanzig Augen hätte, so wäre Arbeit da für sie alle. Und wenn die ganze Ernte erledigt und die Garben auf die Tennen gebracht und in Schobern aufgestellt sind, dann kommt das Pflügen für die Wintersaat und die Reparaturen der Speicher, Getreidedarren und Viehställe für den Winter und zugleich alle Weiberarbeiten, und man zieht aus allem das Resultat und sieht, was man vor sich gebracht hat. Aber der Winter! Auf allen Tennen wird gedroschen; das ausgedroschene Getreide wird aus den Darren in die Speicher gebracht. Man geht auch in die Mühle und in die Fabrik und wirft einen Blick in die Werkstätten und besucht auch die Bauern, um zu sehen, was sie da bei sich zu Hause treiben. Was mich betrifft: wenn ein Zimmermann seine Axt geschickt handhabt, so kann ich geradezu zwei Stunden lang vor ihm stehen und zuschauen; solche Freude macht mir der Anblick dieser Arbeit. Und wenn man dann noch sieht, daß alles dies zu einem bestimmten Zwecke zusammenwirkt, und wie um einen herum sich alles mehrt und mehrt und Frucht und Ertrag bringt, ich kann Ihnen gar nicht sagen, was dann in der Seele vorgeht! Und nicht weil das Geld wächst (das ist eine Sache für sich), sondern weil das alles das Werk der eigenen Hände ist; weil man sieht, daß man die Ursache und der Schöpfer von alledem ist, und wie man nach Art eines Zauberers Fülle und Segen über alles ausschüttet. Wo finden Sie einen ähnlichen Genuß?« sagte Kostanschoglo und hob sein Gesicht in die Höhe, von dem alle Runzeln verschwunden waren. Wie ein König am Tage seiner feierlichen Krönung, so glänzte er über das ganze Gesicht, und es schien, als ob Strahlen von demselben ausgingen. »Ja«, fuhr er fort, »in der ganzen Welt finden Sie keinen ähnlichen Genuß! Hier zeigt sich der Mensch geradezu als ein Nachahmer Gottes: Gott hat sich das Schaffen als den höchsten aller Genüsse vorbehalten und verlangt auch vom Menschen, daß er in ähnlicher Weise Segen um sich herum schaffe. Und das nennt man eine langweilige Tätigkeit! …«
Tschitschikow hörte die enthusiastischen Reden seines Wirtes an wie den Gesang eines Paradiesvogels.
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