Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Mütterchen!« Die Pferde zogen an.
Selifan war den ganzen Weg über mürrisch und damit zugleich sehr achtsam auf seine Obliegenheiten, was bei ihm immer der Fall war, wenn er sich vorher etwas hatte zuschulden kommen lassen oder betrunken gewesen war. Die Pferde waren erstaunlich sauber geputzt. Das Kumt an einem von ihnen, das sich bisher immer in zerrissenem Zustande befunden hatte, so daß das Werg aus dem Leder herausschaute, war kunstvoll ausgebessert. Auf der ganzen Fahrt war er schweigsam, schlug nur mit der Peitsche und richtete keine belehrenden Ansprachen an die Pferde, obwohl der Schecke gern etwas Erbauliches gehört hätte, da unterdessen die Zügel immer nur lässig in den Händen des redseligen Rosselenkers ruhten und die Peitsche nur der Form wegen über die Rücken hinspazierte. Aber von den verdrossenen Lippen desselben waren diesmal nur eintönige, unfreundliche Ausrufe zu vernehmen: »Na aber, na, du Maulaffe! Immer gähnst du und gähnst!« und weiter nichts. Selbst der Braune und der Assessor waren nicht zufrieden, da sie kein einziges Mal Anreden wie »meine lieben Pferdchen«, »meine Verehrten«, zu hören bekamen. Der Schecke fühlte sehr unangenehme Schläge auf seinen vollen, breiten Körperteilen. »Nun sehe mal einer, wie schlau er ist!« dachte er bei sich, während er ein bißchen mit den Ohren spielte. »Er weiß recht gut, wo er hinschlagen muß! Er schlägt nicht gerade auf den Rücken, sondern sucht sich die Stellen aus, wo man es am meisten fühlt: an den Ohren und unter dem Bauche.«
»Rechts, nicht wahr?« mit dieser trockenen Frage wandte sich Selifan an das neben ihm sitzende Mädchen und wies mit der Peitsche auf den vom Regen schwarz gewordenen Weg zwischen den leuchtend grünen, erfrischten Feldern.
»Nein, nein, ich werde es Ihnen schon zeigen«, antwortete das Mädchen.
»Wohin denn also?« fragte Selifan, als sie näher herangekommen waren.
»Dahin!« erwiderte das Mädchen, indem sie mit der Hand zeigte.
»Ach du!« sagte Selifan. »Das ist ja rechts! Weiß die nicht, was rechts und links ist!«
Das Wetter war zwar sehr schön, aber die Erde dermaßen schmutzig, daß die darin wühlenden Räder der Britschke bald von ihr wie mit einer Filzdecke umhüllt waren, wodurch das Gefährt stark behindert wurde; überdies war der Boden an sich außerordentlich lehmig und klebrig. Das eine wie das andere war der Grund, weshalb sie sich aus den Seitenwegen erst um Mittag hinausarbeiteten. Ohne das Mädchen würde ihnen auch das schwer geworden sein, da die Wege nach allen Richtungen auseinandergingen wie gefangene Krebse, wenn man sie aus dem Sack ausschüttet; und wenn Selifan dabei Umwege gemacht hätte, so würde er daran unschuldig gewesen sein. Bald darauf zeigte das Mädchen mit der Hand nach einem dunklen Gebäude in der Ferne und sagte: »Da ist die große Landstraße.«
»Und das Gebäude?« fragte Selifan.
»Das ist ein Wirtshaus«, antwortete das Mädchen.
»Na, jetzt werden wir auch allein hinfinden«, sagte Selifan, »geh nach Hause!«
Er hielt an, war ihr beim Absteigen behilflich und murmelte zwischen den Zähnen: »Pfui, du mit deinen schwarzen Füßen!«
Tschitschikow gab ihr einen Kupfergroschen, und sie trabte nach Hause, ganz zufrieden schon allein damit, daß sie auf dem Bocke gesessen hatte.
Viertes Kapitel
Als sie zu dem Wirtshause gekommen waren, ließ Tschitschikow aus zwei Gründen halten: erstens um den Pferden eine Erholung zu vergönnen, und zweitens um auch selbst etwas zu genießen und sich zu stärken. Der Verfasser muß bekennen, daß er Leute dieser Art immer um ihren Appetit und um ihren Magen beneidet. Ganz gleichgültig sind ihm all die vornehmen Herren in Petersburg und Moskau, welche die Zeit damit hinbringen, zu überlegen, was sie morgen essen wollen, und was für ein Diner sie sich für übermorgen zusammenstellen können, und an dieses Diner nur herangehen, nachdem sie vorher ein paar Pillen in den Mund gesteckt haben, und welche Austern, Seespinnen und andere solche wunderlichen Dinge hinunterschlingen und dann nach Karlsbad oder nach dem Kaukasus reisen. Nein, diese Herren haben nie seinen Neid erregt. Aber die Herren des Mittelstandes, die sich auf einer Station Schinken geben lassen und auf der nächsten ein Ferkel und auf der dritten ein Stück Stör oder eine in Teig gebackene Wurst mit Zwiebeln und dann, als wäre nichts geschehen, sich zu jeder beliebigen Zeit wieder an den Tisch setzen, wo sie dann eine
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