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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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ebenfalls in der Tasche; er hat, wie es scheint, alles bei sich, und doch flüstert ihm ein unbekannter Geist ins Ohr, daß er etwas vergessen habe. Und nun blickt er zerstreut und verwirrt auf die vor ihm vorüberströmende Menge und auf die dahinfliegenden Equipagen und auf die Tschakos und Gewehre eines vorbeimarschierenden Regimentes und nach einem Aushängeschilde und sieht nichts ordentlich. So wurde auch Tschitschikows Aufmerksamkeit plötzlich von allem abgelenkt, was um ihn her vorging. Unterdessen wurden von den duftenden Lippen der Damen an ihn eine Menge von Bemerkungen und Fragen gerichtet, die von Witz und Liebenswürdigkeit durchtränkt waren: »Dürfen wir armen Erdenbewohnerinnen so kühn sein, Sie zu fragen, worüber Sie nachdenken?« – »Wo befinden sich die glücklichen Gefilde, in denen Ihre Gedanken umherwandeln?« – »Kann man den Namen derjenigen erfahren, die Sie in dieses süße Tal der Träumerei versenkt hat?« Aber er verhielt sich gegen all dies völlig achtlos, und die freundlichen Redewendungen blieben so wirkungslos, als ob sie ins Wasser gefallen wären. Er war sogar so unhöflich, bald von den Fragerinnen fort nach der anderen Seite zu gehen, da er gern sehen wollte, wo die Frau Gouverneur mit ihrer Tochter geblieben sei. Aber die Damen schienen ihn doch nicht so ohne weiteres aufgeben zu wollen: eine jede von ihnen nahm sich im stillen vor, alle möglichen für unsere Herzen so gefährlichen Waffen zu gebrauchen und die stärksten Mittel, über die sie verfügte, zur Anwendung zu bringen. Ich muß hier anmerken, daß einige Damen (ich sage: einige; das ist etwas anderes als: alle) eine kleine Schwäche besitzen: wenn sie an sich etwas besonders Hübsches bemerken, sei es die Stirn, der Mund oder die Hände, so denken sie gleich, dieser schönste Teil ihrer Persönlichkeit müsse allen gleich zuerst in die Augen fallen, und alle müßten einhellig ausrufen: »Seht nur, seht nur, was sie für eine schöne griechische Nase hat!« oder: »Welch eine regelmäßige, entzückende Stirn!« Wenn eine aber schöne Schultern hat, so ist sie im voraus davon überzeugt, daß alle jungen Männer ganz begeistert sein und, sobald sie vorbeigeht, fortwährend wiederholen werden: »Ach, was hat sie für wundervolle Schultern!« Auf ihr Gesicht, ihr Haar, ihre Nase, ihre Stirn achten diese mit schönen Schultern begabten Damen gar nicht, und wenn sie wirklich darauf achten, so betrachten sie diese Stücke als nebensächlich. So denken manche Damen. Jede Dame nahm sich damals heilig vor, beim Tanze möglichst bezaubernd zu sein und denjenigen Vorzug, der an ihr der schönste war, in seinem vollen Glanze zu zeigen. Die Frau Postmeister legte beim Walzer den Kopf so schmachtend auf die Seite, daß ihr dies wirklich eine Art von überirdischem Aussehen verlieh. Eine sehr liebenswürdige Dame, die gar nicht mit der Absicht zu tanzen hingekommen war, wegen einer kleinen incommodité, wie sie sich selbst ausdrückte, in Gestalt eines Hühnerauges am rechten Fuße, weswegen sie sogar Plüschschuhe hatte anziehen müssen, konnte sich doch nicht enthalten, einige Touren in ihren Plüschschuhen zu machen, namentlich damit die Frau Postmeister sich nicht allzuviel in den Kopf setzen möchte.
    Aber all dies brachte bei Tschitschikow nicht die beabsichtigte Wirkung hervor. Er blickte gar nicht einmal nach den schönen Touren hin, die die Damen ausführten, sondern hob sich fortwährend auf die Fußspitzen, um über die Köpfe weg zu schauen, wo die interessante Blondine geblieben sein möchte; dann wieder hockte er sich ein wenig nieder und blickte zwischen den Schultern und Rücken hindurch. Endlich erspähte er sie: sie saß mit ihrer Mutter da, auf deren Kopf sich majestätisch ein orientalischer Turban mit einer Feder wiegte. Es hatte den Anschein, als wolle er auf die beiden Damen einen Sturmangriff unternehmen. Ob nun die Frühlingsstimmung auf ihn wirkte oder ihm gewissermaßen jemand von hinten einen Stoß gab: genug, er drängte sich, ohne auf irgend etwas Rücksicht zu nehmen, energisch vorwärts; der Branntweinpächter erhielt von ihm einen solchen Stoß, daß er schwankte und sich nur mit Mühe auf einem Beine hielt, sonst hätte er jedenfalls hinter sich eine ganze Reihe zu Fall gebracht; der Postmeister trat ebenfalls zurück und blickte ihn mit einem Erstaunen an, das mit feiner Ironie gemischt war. Aber Tschitschikow gönnte ihnen keinen Blick; er sah nur in der Ferne die Blondine, die sich

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