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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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vergleichen ließ. Die Damen waren mit ihm sehr zufrieden und fanden an ihm nicht nur eine Menge angenehmer, liebenswürdiger Eigenschaften, sondern sie entdeckten in seinem Gesicht sogar einen majestätischen Ausdruck, ja etwas Martialisches und Heldenhaftes, was bekanntlich dem weiblichen Geschlechte in hohem Grade gefällt. Sie fingen sogar schon an, sich um seinetwillen ein bißchen zu streiten: da sie bemerkt hatten, daß er gewöhnlich neben einer Tür stand, so suchten mehrere Damen wetteifernd die Stühle in der Nähe dieser Tür einzunehmen, und als es einer Dame dabei geglückt war, anderen zuvorzukommen, so wäre es beinahe zu einer unerquicklichen Szene gekommen, und viele, welche gern dasselbe erreicht hätten, erklärten eine solche Dreistigkeit für empörend.
    Tschitschikow hatte sich so in das Gespräch mit den Damen verwickelt oder, richtiger gesagt, die Damen hatten ihn so umringt und ins Gespräch verwickelt, wobei sie ihn mit einer Menge der geistreichsten und feinsten allegorischen Redewendungen überschütteten, die er sämtlich enträtseln mußte, wovon ihm sogar der Schweiß auf die Stirn trat – daß er vergaß, die Pflicht des Anstandes zu erfüllen und vor allen Dingen zur Hausfrau heranzugehen. Er erinnerte sich daran erst in dem Augenblick, als er die Stimme der Frau Gouverneur selbst hörte, die schon einige Minuten lang vor ihm stand. Die Frau Gouverneur sagte in heiterem, schelmischen Tone unter freundlichem Kopfschütteln: »Ah, Pawel Iwanowitsch, also so sind Sie! …« Ich kann die Worte der Frau Gouverneur nicht genau wiedergeben; aber was sie sagte, war voll der größten Liebenswürdigkeit und atmete denselben Geist wie die Reden der Damen und Herren in den Novellen unserer eleganten Schriftsteller, welche gern Salons schildern und mit ihrer Kenntnis des guten Tones prahlen. Der Inhalt war ungefähr: »Haben denn andere schon dermaßen von Ihrem Herzen Besitz ergriffen, daß in ihm gar kein Plätzchen, auch nicht das engste Winkelchen mehr für die von Ihnen so grausam Vergessenen übrig ist?« Unser Held wandte sich sofort zu der Frau Gouverneur hin und schickte sich schon an, ihr eine Antwort zu geben, die wahrscheinlich nicht schlechter gewesen wäre als in den modernen Novellen die Reden so eines Swonski, Linski, Lidin, Gremin und all solcher gewandten Offiziere, da hob er zufällig die Augen in die Höhe und hielt auf einmal wie vom Schlage gerührt inne.
    Vor ihm stand nicht nur die Frau Gouverneur: sie hielt ein junges, sechzehnjähriges Mädchen untergefaßt, eine frische Blondine mit feinen, regelmäßigen Zügen, etwas spitzem Kinn und entzückend gerundetem, ovalem Gesichte, das ein Künstler als Modell für eine Madonna hätte nehmen können, mit einem Gesichte, wie man es in Rußland so selten antrifft, wo alles mögliche gern in die Breite geht; die Berge, die Wälder, die Steppen, die Gesichter, die Lippen, die Füße – eben jene Blondine, der er auf der Landstraße begegnet war, als er von Nosdrew wegfuhr und durch die Dummheit der Kutscher oder der Pferde ihre Wagen zusammenstießen und sich mit dem Geschirr verfingen und Onkel Mitjai und Onkel Minjai es unternahmen, die Sache zu entwirren. Tschitschikow wurde so verlegen, daß er außerstande war, auch nur ein einziges vernünftiges Wort herauszubringen, und irgend etwas Sinnloses murmelte, wie es weder Gremin noch Swonski noch Lidin jemals gesagt haben würden.
    »Sie kennen meine Tochter noch nicht?« fragte die Frau Gouverneur. »Sie ist in einem Erziehungsinstitut gewesen und eben aus demselben entlassen.«
    Er erwiderte, er habe bereits zufällig das Glück gehabt, mit ihr bekannt zu werden; er versuchte noch etwas hinzuzufügen, aber es wollte ihm durchaus nicht gelingen. Die Frau Gouverneur sagte noch zwei, drei Worte und ging schließlich mit ihrer Tochter nach dem anderen Ende des Saales zu anderen Gästen; Tschitschikow aber stand immer noch unbeweglich an demselben Flecke wie jemand, der fröhlich auf die Straße hinaustritt, um einen Spaziergang zu machen, und seine Augen nach allen Seiten umherschweifen läßt, aber plötzlich regungslos stehen bleibt, weil ihm der Gedanke kommt, daß er etwas vergessen habe; und nun kann nichts dümmer aussehen als ein solcher Mensch: im Nu ist die sorglose Miene von seinem Gesichte verschwunden; er strengt sich an, sich zu besinnen, was er denn eigentlich vergessen habe: das Taschentuch? Nein, das hat er in der Tasche; das Geld? Auch nicht, das Geld steckt

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