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Die Toten Vom Karst

Die Toten Vom Karst

Titel: Die Toten Vom Karst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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Laurenti stand vor dem Wagen und hatte die Schlüssel dabei. Er warf die Guati auf den Rücksitz und fuhr die Rive hinunter bis zur Piazza Venezia. Vor dem Museum Revoltella stellte er den Wagen ins Halteverbot, sagte dem Museums-Portier Bescheid, daß er gleich wieder käme, und eilte nach Hause. Sein Anzug lag noch immer in der Küche, und trotz des sperrangelweit geöffneten Fensters stank es bestialisch nach Fischabfällen. Marco hatte ihn ganz offensichtlich doch nicht in die Reinigung gebracht. »Dann eben morgen«, Proteo Laurenti seufzte, wechselte die Socken, und zog andere Schuhe an. Er schaute auf die Wanduhr in der Küche und verglich sie mit der Armbunduhr. Sie ging noch immer nach. Laura hätte sie längst gestellt. Dann fiel sein Blick auf die Berge an Pizzaschachteln und Bierflaschen, das verdreckte Spülbecken und die überquellenden Mülltüten. Er seufzte nochmals, warf einen Blick ins Wohnzimmer, sah die vollen Aschenbecher und das restliche Ausmaß der Katastrophe. Er ließ sich in den Sessel fallen, steckte sich die zweite Zigarette des Tages an und berechnete, wie lange er am Abend wohl brauchte, die Wohnung in Schuß zu bringen, bevor er sich an die Guati machen könnte. Die Guati! Er hatte sie im Wagen liegenlassen. Aber die paar Stunden würden sie halten.
    *
    Knapp vierzig Personen gedachten Giuliano Scropettis während der Messe in Sant’ Antonio Taumaturgo, und nur die vordersten Bänke waren belegt. Sant’ Antonio schien Proteo keine schlechte Wahl zu sein, denn die Leiche des Fischers war noch immer nicht gefunden, obgleich die Guardia Costiera täglich die Gewässer absuchte und mit den Behörden an den anderen Küstenbereichen in Kontakt stand. Hoffte seine Witwe noch immer auf ein Wunder? Gut, daß man wenigstens für einen entsprechenden Obolus eine Messe lesen lassen konnte und ein wenig Trost erhielt. Vielleicht brachte der heilige Antonius ein bißchen Licht in die Sache. Laurenti erinnerte sich daran, wieviel Scheine er dem Heiligen vor vielen Jahren zugesteckt hatte und ihn später mit Verachtung bestrafte, als dieser seine Wünsche nicht erfüllte. Aber wenn Laura bald zurück käme, sagte er leise zu sich, dann würde er vielleicht doch noch mal einen Hunderter in den Opferstock stecken. Doch die Zeit der Vorauszahlungen war eindeutig vorbei, und nach Padua führe er deswegen schon gar nicht mehr.
    Laurenti hielt gehörigen Abstand zur Trauergemeinde. Er wollte nicht gesehen werden, sondern in aller Ruhe feststellen, wer alles gekommen war. Als erstes sah er hinter einer der Säulen den Fotografen des »Piccolo«, der immerhin den Anstand besaß, ohne Blitzlicht zu fotografieren. Den würde er sich nachher noch schnappen und ihn bitten, ein paar Abzüge für ihn »privat« zu machen. Ein paar tausend Lire zusätzlich, keine Quittung, schon gar keine der Polizei, den Deal hatten sie schon öfter gemacht.
    Er erkannte die Witwe. Die Leute neben ihr mußten die Kinder samt Familien sein. Sonst kannte er niemanden in den vorderen Reihen, doch staunte er nicht schlecht, daß in der vierten Bank neben Mario und Luca, die einfache dunkle Sonntagsanzüge und weiße Hemden trugen, Bruna Saglietti und Nicoletta standen. Wie Aussätzige hielten sie Abstand zur restlichen Trauergemeinde. Die Bank vor ihnen war leer. Nicoletta war zum ersten Mal, seit er sie kennenlernen mußte, besser gekleidet. Sie wäre sonst gut als Fischerkollege neben den beiden anderen durchgegangen. Breitschultrig und stämmig wie ihr Vater, mit ihrem burschikos kurzgeschnittenen, schwarzen Haar, dem breiten Schädel, dem weißen Kragen der Bluse unter einem schwarzen, knielangen Blazer, der viel eleganter war, als Laurenti es ihr zutraute, stand sie keinen Meter von den beiden entfernt. Noch am Morgen hatten die Funken gesprüht zwischen ihr und den beiden Fischern, und jetzt standen sie in Eintracht zusammen und gedachten offensichtlich des Vermißten.
    Proteo Laurenti gab dem Fotografen ein Zeichen. Sie flüsterten miteinander, dann zog Laurenti einen roten Geldschein aus dem Portemonnaie und steckte ihn dem anderen zu, der mit einem Kopfnicken antwortete und die Kirche verließ. Plötzlich spürte er, wie sich sanft und vertraut eine Hand unter seinen linken Oberarm schob. Langsam drehte er den Kopf und blickte in das lächelnde Gesicht Živa Ravnos. Er legte seine Rechte auf ihre Hand und lächelte. Sie zog ihre Hand nicht zurück. Er schaute sie nicht an, sondern tat, als beobachte er weiterhin aufmerksam

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