Die Toten Vom Karst
Staatsbürger waren. Haben sie natürlich nicht ganz genau befolgt. Die Bevölkerung wurde aufgefordert, Ruhe zu bewahren und die Jugoslawen ungestört abziehen zu lassen. An vielen Häusern der Stadt hing die Trikolore oder die englische oder amerikanische Fahne oder alle zusammen. An anderen die jugoslawische und die sowjetische. Darüber, welches der Tag der Befreiung war, streiten manche noch heute. War es der i. Mai, als Tito die Stadt übernahm, der 2. Mai, als die Neuseeländer kamen und die letzten Deutschen in der Stadt sich ergaben, oder der 12. Juni, als die Jugoslawen abzogen? Auf jeden Fall, die Situation war äußerst angespannt. Es war alles vertreten, was man sich vorstellen konnte: Italienische Faschisten, die von ›ewiger Italianità und historischer Kontinuität‹ faselten, so wie sie es heute noch tun. Oder italienische Kommunisten, die sich bis zur Selbstverleugnung der Parteidisziplin unterwarfen. Da war dann auch dieser Vittorio Vidali im Rennen, von dem man bis heute nicht weiß, ob er nun der Drahtzieher des Trotzki-Mordes war oder nicht. Man munkelt ja auch, daß er Tina Modotti umgebracht hat, seine ehemalige Geliebte. Er kam von hier, aus Muggia, und sie aus Udine, aber das wißt ihr ja. Daneben liefen Monarchisten rum, Demokraten, Habsburganhänger und slowenische Nationalisten, die mit Tito nichts am Hut hatten, aber trotzdem ihren eigenen Staat wollten – inklusive Triest. Und dann waren da vor allem die jugoslawischen Kommunisten, sowie das IX. Slowenische Korps, ein paar letzte versprengte Deutsche, und wir: Engländer, Amerikaner, Neuseeländer. Auf jeden Fall war es die Devise Titos, alles aus dem Weg zu schaffen, was sich den Territorialabsichten Belgrads entgegenstellte. Täglich verschwanden Menschen. Nicht nur Faschisten, auch Partisanen, die keine Kommunisten waren. Und diese Überbleibsel, die man aus den Foibe zog, mußte ich mir dann vornehmen. Ich erinnere mich noch ziemlich genau an den Anfang: abgesehen von unzähligen Italienern wurden natürlich Wehrmachtssoldaten rausgezogen, dann Ustascha-Anhänger und Domobranzen, die kroatischen und slowenischen Kollaborateure, aber auch zwölf Leichen neuseeländischer Militärs. Ich denke, das muß man nicht weiter kommentieren.
In der Stadt gab es Zusammenstöße zwischen jungen Internationalisten, Faschisten und Kollaborateuren. Dann streikten slowenisch-kommunistische Gewerkschafter gegen die Alliierte Militärregierung, oder es gab Proteste der italienischen Befreiungskomitees gegen das Abkommen mit den Jugoslawen. Es ging zu wie im Hühnerstall. Und als die Schuldigen galten immer wir, die Befreier. Man konnte es keinem recht machen, und dieses Minimum an Stabilität, das alle wollten, wurde durch einzelne aufwieglerische Gruppen immer wieder gefährdet. Ihr müßt euch vorstellen: entlang der Rive war die ganze Mole mit Stacheldraht abgesperrt und streng bewacht, und wer aus der Stadt wollte, brauchte in alle Richtungen einen Paß, auch nach Westen, nach Italien.
Außerdem gab es Spannungen mit den Engländern, die die Jugoslawen unterstützten und Italien noch als Kriegsgegner ansahen. Immerhin hatte Mussolini Hitler um die Ehre gebeten, ebenfalls London bombardieren zu dürfen, und die Adriaflotte versenkte ein englisches Kriegsschiff nach dem anderen. Vor dem 12. Juni sahen die Engländer und Neuseeländer nur zu und schritten nicht gegen die Jugoslawen ein. General Alexander, ein Engländer und der Kommandant der alliierten Mittelmeertruppen, hatte gute Beziehungen zu Tito, die von gegenseitiger Wertschätzung getragen waren. Als Churchill in Erwägung zog, Tito notfalls mit Gewalt aus der Venezia Giulia rauszuwerfen, widersprach Alexander in einem harten Telegramm, in dem er die moralische Berechtigung eines solchen Schritts in Frage stellte und schrieb, daß seine Soldaten eine tiefe Bewunderung für die Tito-Partisanen hegten und sich mit ihnen solidarisch fühlten. Man könne von ihnen nicht verlangen, einen Verbündeten anzugreifen. Ziemlich unverschämt!
Die Amerikaner hingegen waren natürlich auf der Seite Italiens, dafür gab es Gründe wie Sand am Meer. Also, ihr seht, was das damals für ein Wirrwar war. Vollkommen undurchschaubar. Und hier noch schlimmer als an jedem anderen Ort.
Dennoch, den Triestinern ging es später dann deutlich besser als dem Rest Italiens. Allein aus dem Topf des Marshall-Plans gab es pro Kopf und Monat hier fast das Zehnfache als in anderen Städten. Ich erinnere mich nicht
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