Die Toten Vom Karst
mehr genau an die Beträge. Aber für Triest waren es so um die sechzig und in Italien acht Dollar. Und aus Amerika kamen Lebensmittel von Verwandten. Es gibt da noch so eine Geschichte, Diego de Castro erzählt sie in seinen Memoiren. Ein Politiker, der sich für Italien um die Triest-Frage kümmern mußte. Er erzählt, daß die Verwandten aus Übersee Care-Pakete schickten. Mehl, Spaghetti, Konserven, Kaffee, Zucker und ein graues Pulver, das sie nicht kannten, und sie dachten, es sei ein Gewürz oder Vitamine. Sie mischten das Zeug in jedes Essen. Nach Monaten fand jemand in dem alten Karton, mit dem das Zeug gekommen war, einen Brief. Da stand drin, daß es sich um die Asche eines Onkels handelte, dessen letzter Wunsch es war, in der Heimat beigesetzt zu werden. Und die haben das gefressen.«
Galvano lachte Tränen, dann fing er sich irgendwann wieder. »Ich verstehe gar nicht, warum ihr das nicht komisch findet. Also gut: Man hat uns anfangs in den alten Kasernen und auch in Lagerhallen untergebracht, aber nach ein paar Tagen hatte ich das Glück, daß mir ein Zimmer im ›Hotel Colombia‹ zugewiesen wurde. Das war auch komisch. Das Hotel war von den Engländern konfisziert, und nur zwei Amerikaner waren drin, und der eine, ich, trug auch noch einen italienischen Namen. Mein Gott, wie oft mußte ich das damals erklären. Alle dachten, ich müßte mich auskennen. Dabei stammte meine Familie ursprünglich aus Sizilien, und von Triest hörten meine Eltern zum ersten Mal durch mich. Ich wohnte übrigens mehr als ein Jahr im ›Colombia‹. Alle anderen zogen ständig um, nur ich blieb dort und bekam nicht einmal ein größeres Zimmer. Aber das sah ich sowieso nur für die wenigen Stunden, in denen ich zum Schlafen kam. Außerdem hatte ich ja bereits meine spätere Frau kennengelernt …«
Der Doktor machte kaum eine Pause, die anderen hörten kauend zu. Marco verschlang zum Nachtisch eine gigantische Portion Tiramisù und büchste dann aus, diese Gespräche über die Foibe waren ihm zu langweilig, und Proteo hatte nichts dagegen, daß er nach Hause ging. Der Doktor war kaum zu bremsen in seinen Erinnerungen, wie alle alten Männer, die den Krieg erlebt hatten. Erst als Galvano sah, daß Živa Ravno zum wiederholten Male gähnte, winkte er dem Kellner und verlangte die Rechnung. Galvano zahlte für alle.
»Ich sehe, Sie sind müde«, sagte er zur Ravno. »Ich fahre Sie ins Hotel.«
»Lassen Sie nur, Doktor«, antwortete sie. »Ich möchte noch ein paar Schritte gehen. Es ist ja nicht weit.«
»Wo wohnen Sie?«
»Auch im ›Colombia‹. Und Sie werden es kaum glauben: in meinem Badezimmer habe ich sogar einen Whirlpool.«
Laurenti kannte das Hotel, Laura brachte dort stets den Besuch der Familie oder die Gäste ihrer Firma unter. Zwar lag es nicht an der Piazza Unità, dafür war es netter und kostete weniger als das Grand Hotel.
»Ich begleite Sie ein Stück, wenn es Ihnen recht ist. Auch ich muß mir noch die Beine vertreten.« Er half der Staatsanwältin in den Mantel.
Sie verabschiedeten sich vom Doktor, der Laurenti gönnerhaft auf die Schultern klopfte, und wechselten die Straßenseite. Sie wählten den Weg entlang des Hafenbeckens. Die Wellen plätscherten sanft gegen die Mole und die Lichter der Stadt spiegelten sich im Wasser.
»Nehmen wir noch einen Drink im ›Caffè Tommaseo‹?« fragte Laurenti.
»Warum nicht?« antwortete sie.
»Ich mag den Laden eigentlich nicht, aber er liegt auf dem Weg. Es ist das älteste noch erhaltene Kaffehaus der Stadt. 1827 gegründet, und bis vor fünfzehn Jahren war es noch wundervoll. Dann durchlitt es zwei Pleiten hintereinander, blieb lange geschlossen und als man es wieder eröffnete, fehlte das alte Mobiliar. Nur der üppige Stuck ist noch aus jener Zeit, das Publikum dafür allzu sehr von heute. Aber es ist das einzige, das auf unserem Weg noch geöffnet hat.«
Er hielt ihr die Tür auf. Das Café war gut besucht, und nur im vorderen Teil waren noch einige freie Tische. Er half ihr aus dem Mantel. Sie zog die Blicke der Gäste magisch auf sich. Der Kellner war so schnell zur Stelle wie nie. Živa Ravno bestellte einen Gin Tonic und Proteo Laurenti schloß sich an. Dann sah er plötzlich, daß einige Tische weiter Lauras beste Freundin saß und neugierig zu ihnen herüber starrte. Er winkte verlegen, und sie winkte verhalten zurück. Er war sich sicher, daß diese blondierte Zicke mit sonnengegerbtem Gesicht und Dekolleté alles über ihn und seine Frau
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