Die Toten von Crowcross
könntest vorzeitig in den Ruhestand gehen und von deiner Pension leben.«
Jacobson nippte immer noch an dem Whisky, den er mit ins Bett genommen hatte.
»Und was soll ich dann den ganzen Tag machen?«
»Nun, da sind zum einen die ganzen Geschichts- und Philosophiebücher, in die du ständig die Nase steckst. Immer wieder sagst du, wie sehr du es bedauerst, dich in jungen Jahren nicht gründlicher mit diesen Dingen beschäftigt zu haben. Du könntest dich an der Uni einschreiben und deinen Magister machen oder so.«
Erstellte das Glas auf den Nachttisch. Einer der Sterne draußen glitzerte deutlich heller als die anderen. Vielleicht war es auch ein Planet. Das war zum Beispiel etwas, womit er sich nie richtig beschäftigt hatte. Er hätte nicht einmal den Polarstern oder die großen Sternbilder bestimmen können. Der Gedanke war ihm schon oft gekommen. In den vorzeitigen Ruhestand zu gehen und seine Tage irgendwo in einer guten Bibliothek zu verbringen. Alison gegenüber hatte er allerdings nie etwas in der Richtung angedeutet. Fast nahm er es ihr übel, wie mühelos sie seine Gedanken las. Dazu war Janice nicht imstande gewesen, aber vielleicht hatte sie sich auch einfach nicht die Mühe gemacht.
»Dann wäre ich womöglich nie zur Polizei gekommen, wer weiß?«
»Und was wäre daran so schlimm gewesen?«
»Dann hätte ich dich nie kennengelernt, oder?«
»Was? Du meinst, du wärst nie ins ›Riverside‹ gekommen? Um was zu trinken oder zu essen? Oder es hätte sonst keinen Zufall geben können?«
Statt etwas zu erwidern, küsste er sie noch einmal. Er war zu müde, um eine vernünftige Antwort zustande zu bringen. Nicht, was das möglichen Kennenlernen anging, sondern auf ihre Ausgangsfrage. Warum sollte er nicht einfach alles hinschmeißen? Alles hinschmeißen und es einem anderen überlassen, sich wegen frei herumlaufender Mörder und der Fehlurteile eines unzulänglichen, kaputten Rechtssystems Gedanken zu machen.
Donnerstag
37
Martin Grove.doc
Im großen Lauf der Dinge ist eine Katze sicher nicht von sonderlicher Bedeutung, aber für den harten Kern, der noch im Myrtle Cottage wohnte, brachte die Tatsache, dass jemand »unsere« Katze getötet hatte, das Fass zum Überlaufen. Wir hätten durch nichts beweisen können, wer hinter dieser Tat und all den früheren Vorfällen steckte, aber es gab wohlbegründete Vermutungen. Sie richteten sich ausnahmslos auf den Sohn jenes Bauern, dessen Land – die Colebrook Farm – direkt an den Grund des Cottage grenzte. (Anmerkung: Charlie Gilbert lebt noch und ist mit ziemlicher Sicherheit sehr prozessfreudig. In der letzten vor-öffentlichen Version Pseudonyme einsetzen und Details , die eine Identifizierung ermöglichen , ändern.) Die Colebrook Farm gehörte den Gilberts. Charlie, der älteste Sohn, war unser Hauptverdächtiger.
Er war ein widerlicher Kerl. Ein großer, grobschlächtiger Hornochse Anfang zwanzig. Es hieß, er studiere Ingenieurwissenschaften oder so was und habe ein Zimmer an der Uni, aber dafür verbrachte er unglaublich viel Zeit zu Hause auf dem Hof . Praktisch jedes Wochenende war er in Crowcross. Manchmal tauchte er auch unter der Woche auf und düste im neuen Jaguar seines Dads durch die Gegend (die englischen Bauern sind Meister darin, rührselige Geschichten über ihr schweres Leben zu erzählen, aber hat irgendwer tatsächlich schon mal einen armen Bauern getroffen?), oder er hing mit seinen lärmenden Spießerkumpels im »Crowcross Arms« herum. In der Zeit bevor alle Protestierer aus dem Pub ausgesperrt wurden (und niemand bedient wurde, der auch nur entfernt so aussah, als könnte er einer sein), war es mehr als einmal um die Sperrstunde herum zu Streit gekommen, und das eine oder andere Mal hatte auch nicht viel zu einer Schlägerei gefehlt. Gilbert fand es ungeheuer witzig, demonstrativ die Nase zu rümpfen, wenn ihm im Gedränge vor der Theke ein Protestierer zu nahe kam; allerdings tat er das nur, wenn er von ausreichend Freunden umgeben war, die ihm im Ernstfall zur Seite gestanden hätten . Die offizielle Myrtle-Cottage-Strategie jedoch sah vor, ihn und seine Kumpane zu ignorieren. Wie uns von Nigel montags abends eingetrichtert worden war, hatten wir Wichtigeres zu tun, als uns mit einer Handvoll reaktionärer Landeier anzulegen.
Andererseits versuchte Gilbert immer wieder auf ziemlich erbärmliche Weise, unsere Frauen anzumachen. Sobald er im Dorfladen oder in der Telefonzelle auf dem Dorfplatz eine erblickte,
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