Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Toten Von Jericho

Die Toten Von Jericho

Titel: Die Toten Von Jericho Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
Vom Netzwerk:
hat.«
    Walters vermochte Bells stoisch-resignative Haltung nicht zu teilen. Ob Morse sich auch so leicht zufriedengegeben hätte? Das wagte er stark zu bezweifeln. Morse hätte sicherlich nicht eher mit den Nachforschungen aufgehört, als bis er den Hintergrund der Tat befriedigend aufgehellt hätte. Der hätte Ungereimtheiten bestimmt nicht einfach so stehenlassen.
    »Ich wollte Sie noch mal an die Sache mit dem Schemel erinnern. Beunruhigt es Sie nicht, daß wir …«
    In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Bell nahm ab, legte dann die Hand über die Sprechmuschel und sagte, während er darauf wartete, daß das Gespräch zu ihm durchgestellt wurde:
    »Mich beunruhigt es nicht. Aber ich habe den Eindruck, daß es Sie beunruhigt. Dagegen sollten Sie etwas tun. Und dann versuchen Sie doch auch gleich, noch zwei Zeugen für die gerichtliche Untersuchung aufzutreiben.«
    Damit war Walters entlassen. Als er wenig später in die morgenhelle St. Aldate’s Street hinaustrat, ahnte er nicht, welche Kette von dramatischen Ereignissen der Tod Anne Scotts noch auslösen sollte.
     

Kapitel Sechs
     
    … den Schicksalsschlüssel,
    Das schnöde Werkzeug aller unsrer Pein.
    Milton, Das verlorene Paradies
     
    Noch am selben Nachmittag trieb es Walters erneut zum Canal Reach. Das kurze Gespräch mit Morse vor zwei Tagen hatte ihn auf eine Idee gebracht, und beim Mittagessen, vor sich eine Fleischpastete und ein Bier, hatte er sich entschlossen, sie weiterzuverfolgen. Das bedeutete, daß er noch einmal mit Mrs Purvis würde sprechen müssen. Sie wohnte in Nr. 7, gleich neben dem Haus von Anne Scott.
    »Mir ist da noch etwas eingefallen, Mrs Purvis, was ich gestern vergessen habe, Sie zu fragen.« Mrs Purvis, eine unscheinbare grauhaarige Witwe, sah ihn überrascht an.
    »Ich wüßte gerne, ob Mrs Scott irgendwann einmal einen Hausschlüssel bei Ihnen hinterlegt hat.«
    Sie nickte. »Ja. Vor ungefähr einem Jahr. Er muß in dem kleinen Topf … Ich werde ihn eben mal holen.«
    Das Haus von Mrs Purvis war anders geschnitten als das von Anne Scott. Es besaß einen kleinen Flur, von dem zu beiden Seiten je ein Zimmer abging. Rechts hinten war die Treppe zum oberen Stockwerk. Mrs Purvis verschwand hinter der linken Tür und kehrte gleich darauf mit dem Schlüssel in der Hand zurück. Walters nahm ihn dankend in Empfang und betrachtete ihn interessiert.
    »Hat sie ihn zwischendurch mal wiederhaben wollen?«
    »Nein. Aber es ist wohl früher mal passiert, daß sie sich ausgesperrt hat, und da war es für sie eine Beruhigung zu wissen, daß sie im Notfall einen zweiten Schlüssel bei mir holen konnte. Es ist ja auch schrecklich, wenn man draußen steht und plötzlich merkt, daß man nicht mehr hineinkommt. Ich erinnere mich, wie mir einmal …« Walters nickte höflich, während sie den viele Jahre zurückliegenden Vorfall aus ihrem Gedächtnis hervorkramte.
    »Wissen Sie vielleicht noch, wie viele Schlüssel man Ihnen ausgehändigt hat, als Sie hier einzogen?«
    »Wie viele …? Oh, ich glaube, zwei.«
    Sie kam Walters heute irgendwie nervös und fahrig vor; gestern bei ihrem ersten Gespräch hatte sie einen ruhigeren Eindruck gemacht. Oder bildete er sich das nur ein? Vermutlich. Er verabschiedete sich von ihr und ging die Canal Street entlang zur Great Clarendon Street, die direkt auf die Walton Street und den dort sich befindenden tempelähnlichen Sandsteinbau der St.-Paul’s-Kirche mit ihren kannelierten Säulen zuführte. Und genau gegenüber der Kirche, auf der linken Seite, befand sich tatsächlich das kleine Eckgeschäft, das er neulich im Vorüberfahren meinte bemerkt zu haben. A. Grimes. Schlosser.
    Mr Grimes saß, umgeben von einer Unmenge Schlüssel, Schlösser und Diebstahlsicherungsanlagen, hinter einem gelb gestrichenen Ladentisch, damit beschäftigt, eine Anzahl von Hausnummern, teils aus Plastik, teils aus Messing, in entsprechende Kästen einzusortieren. Bei Walters’ Eintritt legte er die große weiße ›9‹, die er gerade in der Hand hielt, beiseite. Der Constable wies sich aus und stellte dann seine erste Frage.
    »Es kommen doch sicher häufiger Leute zu Ihnen und wollen einen zusätzlichen Schlüssel angefertigt haben?«
    Grimes rückte bedächtig seine Brille zurecht und nickte dann.
    »Ja, schon«, sagte er zurückhaltend. »Schlüssel gehen nun mal häufig verloren.«
    Walters streckte ihm die linke Hand entgegen. Auf seinem Handteller lagen drei Schlüssel. Einer davon, von stumpfem Braun, war

Weitere Kostenlose Bücher