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Die Toten Von Jericho

Die Toten Von Jericho

Titel: Die Toten Von Jericho Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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sind da.
    A. E. Housman, A Shropshire Lad
     
    Am nächsten Tag saß Morse gegen zwölf Uhr bei seinem ersten Bier im Mitre, als der Rektor des Lonsdale College auf ihn zutrat und ihn fragte, ob sie nicht zusammen Mittag essen wollten. Doch Morse lehnte ab. Ihm war nicht nach Gesellschaft zumute. Er trank sein Bier aus, verließ den Pub, ging die High Street hinauf Richtung Carfax und wandte sich dort nach rechts in die Cornmarket Street. Er wollte gerade die Straße überqueren, weil er gegenüber bei Woolworth einige Einkäufe zu erledigen hatte, als er plötzlich den Schritt verhielt. War das da vorne nicht Edward Murdoch? Er hatte graue Flanellhosen und ein kariertes Jackett an und hielt eine braune Aktentasche unter dem Arm. An der Bushaltestelle blieb er stehen und reihte sich in die Schlange der dort Wartenden ein. Morse blieb gleichfalls stehen und tat so, als betrachte er die Auslagen eines Schuhgeschäfts, während er unauffällig versuchte, den Jungen im Blick zu behalten. Edward trug seine Schulkrawatte – schwarz mit roten Schrägstreifen –, er besuchte also offenbar die Magdalen College School. Hatten sie dort mittwochs ihren Sportnachmittag? Aus seiner eigenen Schulzeit wußte Morse, daß es an diesen Nachmittagen mit der Anwesenheitskontrolle meist nicht so genau genommen wurde. Gut möglich, daß Edward dies ausgenutzt hatte, um sich ein paar freie Stunden zu machen. Aber aus irgendeinem Grund war er unruhig, sah alle zwanzig, dreißig Sekunden auf die Uhr und reckte jedesmal, wenn ein Bus in die Straße einbog, den Hals, um die Linie zu erkennen. Nach fünf Minuten schien er sich plötzlich anders entschieden zu haben, er nahm seine Aktentasche, die er zwischen den Beinen abgestellt hatte, auf, verließ die Schlange und verschwand in einem winzigen Seitengäßchen gleich hinter Woolworth. Vor einem ziemlich heruntergekommen aussehenden Kellerlokal mit dem Namen The Corn Polly sah er sich kurz um, nahm seine Krawatte ab und stieg dann die Treppe hinunter. Es war zehn nach eins.
    Direkt gegenüber der Treppe lag ein großer, ziemlich kahler Raum mit einer langen Theke. Die Gäste waren meist junge Männer Anfang Zwanzig, fast alle trugen Jeans und Windjacken. Edward schien sich hier auszukennen. Er ging gleich durch in den rückwärtigen Raum. Hier herrschte eine beinahe gemütliche Atmosphäre. Rings um die Wände standen gepolsterte Sitzbänke mit ein paar niedrigen Tischen davor. An einigen der Tische saßen ältere Männer und verzehrten ihr Mittagsmahl, ›Würstchen mit Fritten.‹
    »Ich hätte gern ein Halbes Bitter.«
    Ob es nun an seiner gepflegten Sprechweise, der höflichen Form seiner Bestellung oder an seinem jugendlichen Aussehen lag – die junge Frau hinter der Theke musterte ihn erst einen Augenblick lang, bevor sie ihm sein Bier zapfte. Er ging zurück in den Saal. Links neben der Tür befand sich ein hölzernes Podium, nur ungefähr dreißig Zentimeter hoch, fünf Meter breit, drei Meter tief und mit stumpfbraunem Linoleum belegt, das so abgetreten aussah, als seien Scharen von Bergwanderern in ihren Nagelstiefeln darübergetrampelt. Es gab nur wenige Stühle, aber das schien keinen zu stören. Wer hier herkam, hatte kein Interesse, sich hinzusetzen, um vielleicht ein ruhiges Gespräch zu führen. Und wenn doch, so würde er vermutlich schnell wieder das Weite suchen; das betäubende Geplärr der Musicbox machte jede Unterhaltung unmöglich. Edward hockte sich auf den Rand des Podiums, nahm ab und zu einen Schluck aus seinem Glas und schien auf irgend etwas zu warten. Und nicht nur er. Auch bei den übrigen Männern war plötzlich eine gewisse erwartungsvolle Spannung zu beobachten. Fast unmerklich begannen sie sich um das Podium zu scharen.
    Dort strahlten auf einmal gelbe und blaue Scheinwerfer auf, die Musicbox verstummte. Ein vollbusiges Mädchen, das bis dahin zusammen mit zwei Männern in einer Nische gesessen und Gin getrunken hatte, war aufgestanden und betrat jetzt die behelfsmäßige Bühne.
    Fünfzig Paar Männeraugen folgten ihr wie gebannt, als sie nun den Verschluß ihres schwarzen Umhangs öffnete und ihn zu Boden gleiten ließ. Aus der Musicbox tönte jetzt eine schwüle, erregende Musik, zu deren Klängen sie sich langsam zu entkleiden begann. Stück um Stück ihrer glitzernden Garderobe landete auf dem Boden, bis sie zuletzt nur noch in Slip und BH dastand. Sie vollführte ein paar ungelenke Tanzschritte, dann öffnete sie den BH, schwenkte ihn einen Moment

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