Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition)
stimmt«, sagte Ortega, zog eine Packung Ducados aus der Tasche und zündete sich eine an. »Er hat eine schwere Zeit durchgemacht, aber ich… ich habe versucht, ihm bei seinem Problem zu helfen. Erst neulich habe ich jemanden vorbeigeschickt. Ich kann es nicht glauben… Es kommt mir so seltsam vor, dass er nicht hier ist.«
»Ich habe Sebastián gestern im Gefängnis besucht«, sagte Falcón.
Ignacio blickte aus wässrigen Augen auf, als hoffte er, mehr zu erfahren. »Das war ein schwieriges Verhältnis«, sagte er dann. »Vater und Sohn.«
»Gibt es dafür einen bestimmten Grund?«
»Unser eigener Vater war… ein sehr schwieriger Mann.«
»Inwiefern?«
»Er hatte ein hartes Leben«, sagte Ignacio. »Wir wissen nicht genau, was ihm passiert ist, außer ihm war niemand übrig, der es uns hätte sagen können. Unsere Mutter hat uns nur erzählt, dass unser Dorf während des Bürgerkriegs beim Vormarsch der Nationalisten überfallen wurde und die Mauren schreckliche Gräueltaten begingen. Was Pablo und mich betraf, war es ihr schlimmstes Verbrechen, unsern Vater am Leben zu lassen.«
»Pablo war der Ältere?«
»Unsere Eltern haben direkt nach Kriegsende geheiratet, und ein Jahr später wurde Pablo geboren.«
»Und Sie?«, fragte er.
»1944.«
»Das waren in diesem Teil des Landes harte Zeiten.«
»Wir hatten nichts…, und alle anderen hatten auch nichts. Es war schon hart, aber niemand war in seiner Armut allein. Das würde auch nicht erklären, warum unser Vater so brutal war. Pablo hat immer das Ärgste abbekommen. Er sagte, dass diese Jahre mit meinem Vater ihn zum Schauspieler gemacht hätten. Es war keine schöne Kindheit. Pablo sagte, es wäre der Grund, warum er nie Kinder haben wollte.«
»Aber er hatte eins«, sagte Falcón. »Und Sie?«
»Ich habe zwei… inzwischen beide erwachsen«, sagte er.
»Leben sie in Sevilla?«
»Meine Tochter hat nach Kalifornien geheiratet. Mein Sohn… mein Sohn ist noch hier.«
»Arbeitet er in Ihrer Firma?«
»Nein.«
»Was macht er denn?«, fragte Falcón aus Höflichkeit.
»Er kauft und verkauft Dinge…, ich weiß nicht genau, was.«
»Sie meinen, Sie sehen sich nicht oft?«
»Er hat sein eigenes Leben, seine eigenen Freunde. Ich glaube, dass ich etwas darstelle, gegen das er rebellieren will… Seriosität oder… ich weiß auch nicht.«
»Und was war mit Pablos Beziehung zu Sebastián? War sie davon gefärbt, dass er eigentlich gar keine Kinder haben wollte?«
»Gibt es irgendein Problem?«, fragte Ignacio und blinzelte über den Rand seines Bierglases.
»Ein Problem?«, fragte Falcón.
»All die Fragen… sehr persönliche Fragen über die Familie«, sagte Ignacio. »Gibt es wegen der Ereignisse von gestern Abend irgendwelche Zweifel?«
»Nicht an den Ereignissen, aber an den Gründen«, sagte Falcón. »Wir interessieren uns dafür, was den Selbstmord Ihres Bruders ausgelöst hat. Vielleicht besteht ein Zusammenhang zu einem anderen Fall.«
»Welcher Fall wäre das?«
»Der Tod seines Nachbarn.«
»Davon habe ich gehört. Ich habe einen Artikel im Diario de Sevilla gelesen.«
»Sie kannten ihn, natürlich.«
»Ich… ich kannte ihn«, stotterte Ignacio, als wäre es etwas, das er nicht ohne weiteres zugeben wollte. »Und ich habe gelesen, dass es bezüglich seines Todes gewisse Zweifel gibt…, aber ich verstehe nicht, was das mit Pablos Selbstmord zu tun haben soll.«
»Pablo kannte ihn auch… durch Sie.«
»Ja, das stimmt. In den Jahren, als ich versuchte, meine Firma in Gang zu bringen, ging Pablo hin und wieder mit mir auf Empfänge«, sagte Ortega. »Und warum glauben Sie, dass es einen Zusammenhang zwischen Pablos Selbstmord und dem Tod von Rafael und Lucía Vega gibt?«
»Zum jetzigen Zeitpunkt betrachte ich es eher als einen seltsamen Zufall«, sagte Falcón. »Binnen drei Tagen sterben in einem kleinen Barrio wie diesem drei Menschen. Das ist eigenartig. Hat ein Todesfall den anderen ausgelöst? Was hat Pablo in den Tod getrieben?«
»Also, zunächst einmal kann ich Ihnen sagen, dass Pablo nicht mal ein Huhn töten konnte. Es war eine der Quälereien unseres Vaters, ihn dazu zu zwingen.«
»Rafael Vega hat eine Flasche Säure getrunken oder wurde dazu gezwungen.«
»Pablo war ein vollkommen gewaltloser Mensch«, sagte Ignacio.
»Er hat sich für gestern Vormittag mit mir verabredet. Er wollte, dass ich als Profi seine Leiche finde. Er hat einen Brief an mich hinterlassen, in dem er mir das erklärt, sowie eine kurze
Weitere Kostenlose Bücher