Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition)
viel auf Reisen war. Ich habe nicht das Fachwissen, um so eine Reaktion zu erklären.«
»Haben Sie ihn im Gefängnis besucht?«
»Pablo hat gesagt, dass er niemanden sehen will. Ich habe meine Frau hingeschickt und gehofft, dass er mit ihr reden würde, aber er hat sich auch geweigert, sie zu treffen.«
»Und was war, bevor er ins Gefängnis kam? Er war ein junger Mann, auf den niemand mehr aufpassen musste, wenn Pablo unterwegs war. Haben Sie ihn da gesehen?«
»Hin und wieder. Als er noch am Bellas Artes war, ist er manchmal zum Mittagessen gekommen, bevor er sein Studium abgebrochen hat.«
»Warum hat er sein Studium abgebrochen?«
»Es war eine Schande. Pablo hat gesagt, dass er sehr gut war. Es gab keinen offensichtlichen Grund. Er hat einfach das Interesse verloren.«
»Wann ist Glória gestorben?«
»Irgendwann 1995 oder 1996.«
»War das vielleicht der Zeitpunkt, zu dem Sebastián sein Kunststudium abgebrochen hat? Er müsste etwa zwanzig gewesen sein.«
»Das stimmt. Das hatte ich vergessen. Seit er sechzehn war, hat er sie jedes Jahr besucht. Er ist jeden Sommer in die USA geflogen.«
»Er sieht ihr sehr ähnlich, oder nicht? Ähnlicher als Pablo.«
Ignacio zuckte kurz und heftig die Achseln, wie irritiert von einer lästigen Fliege. Falcón sah, wie sich im Kopf des Mannes Fragen aufzutürmen begannen.
»Hat Pablo mich in dem Brief an Sie erwähnt, Inspector Jefe?«
»Er hat in einem P.S. darum gebeten, dass Sie benachrichtigt werden«, sagte Falcón. »Vielleicht hat er Ihnen per Post etwas geschickt. Wenn dem so ist, wären wir sehr daran interessiert, es zu sehen.«
Nachdem er während der ganzen Befragung auf der äußersten Kante seines Stuhles gehockt hatte, ließ sich Ignacio jetzt zurücksinken.
»Möglicherweise hat er auch seinem Anwalt etwas zugeschickt«, sagte Falcón. »Wissen Sie, bei welchem Anwalt sein Testament hinterlegt ist?«
Bei dieser Frage beugte sich Ignacio wieder vor.
»Ranz Costa«, sagte er, mit den Gedanken offensichtlich ganz woanders. »Ranz Costa hat den Kaufvertrag für das Haus aufgesetzt, deshalb bin ich mir sicher, dass er auch sein Testament verwahrt.«
»Er ist vermutlich ebenfalls im Urlaub?«
»Er ist auch mein Anwalt, und er macht erst im August Ferien«, sagte Ignacio, stand auf, stellte sein Bier ab und drückte seine Zigarette aus. »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mich rasch ein wenig umsehe? Nur, um das Haus und die Sachen meines Bruders noch einmal zu sehen.«
»Das Zimmer, in dem er gestorben ist, ist als offizieller Tatort immer noch abgesperrt, sodass Sie es besser nicht betreten«, sagte Falcón.
Ignacio verschwand im Haus. Falcón wartete und ging dann in den Flur. Ignacio war im Schlafzimmer, die Tür stand einen Spalt offen. Pablos Bruder durchwühlte den Raum wie besessen. Er kroch unter das Bett, hob die Matratze an und ließ seinen stechenden Blick mit zusammengepressten Lippen durch das Zimmer schweifen. Er ging die Kleidung im Schrank durch und überprüfte Jacken- und Hosentaschen. Falcón schlich zurück durch den Flur und nahm seinen Platz wieder ein.
Wenig später verließen sie gemeinsam das Haus. Falcón schloss ab und sah Ignacios silbernem Mercedes nach, der in der Hitze verschwand. Dann ging er zurück zu Consuelo, die das Sonntagsmagazin von El Mundo in der Hand hielt, als sie ihm die Tür öffnete. Sie gingen ins Wohnzimmer und ließen sich beide aufs Sofa fallen.
»Wie verkraftet es Ignacio?«, fragte sie.
»Du kennst Ignacio Ortega?«
»Ich habe ihn bei ein paar von Raúls Empfängen getroffen, allerdings mehr Zeit mit seiner Frau als mit ihm verbracht. Er ist ein ziemlich uninteressanter Aufsteiger ohne ein Körnchen Kultur. Wenn man Pablos Talent und intellektuellen Fähigkeiten sieht… kaum zu glauben, dass sie Brüder sind.«
»Weißt du irgendetwas über seinen Sohn?«
»Ich weiß, dass er Salvador heißt und heroinabhängig ist. Er wohnt irgendwo in Sevilla.«
»Nun, das ist schon ein wenig mehr, als Ignacio zugeben wollte.«
»So etwas findet man heraus, wenn man mit seiner Frau spricht.«
»Wie ist das Verhältnis zu seiner Frau?«
»Er ist nicht gerade das, was man einen ›neuen Mann‹ nennen würde. Er gehört zur Macho-Generation. Die Frau hat zu tun, was man ihr sagt«, erklärte Consuelo. »Sie hatte Angst vor ihm. Wenn wir geredet haben und er kam dazu, ist sie jedes Mal verstummt.«
»Wie dem auch sei«, sagte Falcón und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Heute ist Sonntag.
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