Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition)
Zigarette. Sie hustete den Rauch aus und schluckte heftig.
»Es war genau wie immer«, sagte sie.
»Sie hat nicht noch mal mit dem Jungen reden wollen, oder…«
Consuelo beugte sich vor, stemmte ihre Ellenbogen auf die Oberschenkel und brach in Tränen aus. Falcón stand auf, gab ihr ein Taschentuch und tätschelte ihren Rücken.
»Tut mir Leid«, sagte er. »Die Kleinigkeiten führen zu größeren Dingen.«
Er nahm ihr die Zigarette ab und drückte sie im Aschenbecher aus. Schließlich riss Consuelo sich zusammen, und Falcón setzte sich wieder in den Sessel.
»Seit Raúls Tod reagiere ich sehr emotional, wenn es um Kinder geht. Alle Kinder.«
»Für Ihre Jungen muss es sehr schwer gewesen sein.«
»Ja, aber sie waren bemerkenswert tapfer. Ich glaube, ich habe ihren Verlust mehr empfunden als sie. Die Trauer sucht sich überraschende Wege«, sagte sie. »Aber jetzt ertappe ich mich ständig dabei, Geld für durch AIDS verwaiste Kinder in Afrika, ausgebeutete Kinder in Indien und dem Fernen Osten, Straßenkinder in Mexico City und São Paulo oder die Rehabilitation von Kindersoldaten zu spenden… Es strömt einfach so aus mir heraus, und ich habe keine Ahnung, warum das plötzlich passiert.«
»Hat Raúl nicht Geld für Los Niños de la Calle hinterlassen, die Wohlfahrtsorganisation für Straßenkinder?«
»Ich glaube, da ging es um etwas anderes.«
»Schuldgeld für… Arturo? Den Sohn, der entführt und nie wieder gesehen wurde?«
»Passen Sie auf, sonst fange ich gleich wieder an«, sagte sie. »Ich muss unaufhörlich daran denken.«
»Okay, etwas anderes«, sagte er. »Lucía hat eine Schwester in Madrid, oder? Sie sollte sich um Mario kümmern können.«
»Ja, sie hat zwei Kinder, eines in Marios Alter. Ich werde ihn vermissen«, sagte sie. »Seinen Vater zu verlieren ist schlimm genug, aber auch die Mutter zu verlieren ist gerade in diesem Alter eine Katastrophe.«
»Man findet sich damit ab«, sagte Falcón und spürte den stechenden Schmerz seiner eigenen Erfahrung. »Der Überlebensinstinkt ist stärker. Man nimmt die Liebe an, egal woher sie kommt.«
Sie starrten sich an, jeder in seine Gedanken versunken, bis Consuelo aufstand und ins Bad ging. Als er das Wasser laufen hörte, ließ sich Falcón erschöpft in den Sessel zurücksinken. Er musste dringend die innere Stärke für seine Arbeit wiedergewinnen oder zumindest neue Techniken entwickeln, die Welt, in der er ermittelte, auf Abstand zu halten.
»Und was ist Ihrer Ansicht nach gestern im Haus gegenüber geschehen?«, fragte Consuelo, als sie mit frisch gepudertem Gesicht zurückkam.
»Es sieht aus, als hätte Señor Vega seine Frau erstickt und sich dann selbst umgebracht, indem er eine Flasche Abflussreiniger getrunken hat«, sagte Falcón. »Die offizielle Todesursache wird noch untersucht. Wenn es sich so abgespielt hat, wie wir vermuten, werden sich unter Señor Vegas Fingernägeln Fasern des Kopfkissens finden und dergleichen… Indizien, die uns…«
»Und wenn nicht?«
»Dann müssen wir genauer hinsehen«, sagte Falcón. »Wir sind schon jetzt… verwirrt.«
»Von dem neuen Wagen und der Tatsache, dass er in Urlaub fahren wollte?«
»Selbstmörder machen nur selten bekannt, was sie vorhaben. Sie leben ganz normal weiter. Wie oft hört man Verwandte sagen: ›Aber er wirkte so ruhig‹«, sagte Falcón. »Das liegt daran, dass sie sich entschieden und dadurch endlich einen gewissen Frieden gefunden haben. Nein, was uns verwirrt, ist der Tatort und die seltsame Botschaft.«
»Er hat einen Abschiedsbrief hinterlassen?«
»Nicht direkt. In seiner Faust hielt er einen Zettel, auf dem auf Englisch stand: ›…in der dünnen Luft sein, die ihr atmet vom 11. September bis zum Ende der Zeit…‹«, berichtete Falcón. »Sagt Ihnen das irgendwas?«
»Nun, das erklärt gar nichts, oder?«, fragte sie. »Warum der 11. September?«
»Einer der Männer von der Spurensicherung meinte, dass er wahrscheinlich Al-Quaida finanziell unterstützt hat«, sagte Falcón. »Als Witz.«
»Aber… ist dieser Tage nicht alles möglich?«
»Hat Señor Vega auf Sie einen in irgendeiner Weise instabilen Eindruck gemacht?«
»Rafael wirkte vollkommen stabil«, erwiderte Consuelo. »Lucía war die Instabile. Sie war depressiv mit gelegentlichen Schüben manisch-zwanghaften Verhaltens. Haben Sie ihren Kleiderschrank gesehen?«
»Eine Menge Schuhe.«
»Viele von ihnen im gleichen Design oder der gleichen Farbe wie ihre Kleider. Wenn ihr etwas
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